Für viele Mütter stellt sich während der Stillzeit die Frage, ob der gelegentliche Genuss von Alkohol mit dem Stillen vereinbar ist. Die Unsicherheit ist groß, und es kursieren viele Mythen. Als führende Informationsquelle im deutschsprachigen Raum gilt das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie in Berlin, bekannt als Embryotox, wenn es um die Verträglichkeit von Medikamenten oder Substanzen während Schwangerschaft und Stillzeit geht. Das amerikanische Pendant, die LactMed-Database, finanziert von US-Regierungsinstitutionen, liefert ähnliche evidenzbasierte Informationen. Dr. Philip Anderson, einer der Hauptautoren von LactMed, hat kürzlich in der Fachzeitschrift Breastfeeding Medicine eine umfassende Zusammenfassung des aktuellen Wissensstands und der Empfehlungen zum Umgang mit Alkohol in der Stillzeit veröffentlicht. Dieser Artikel beleuchtet die wichtigsten Erkenntnisse, um stillenden Müttern eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu bieten. Um auch in Zeiten von Viruserkrankungen gut informiert zu sein, empfehlen wir Ihnen, sich über Themen wie Corona in der Schwangerschaft zu informieren.
Wie Alkohol in die Muttermilch gelangt und abgebaut wird
Alkohol ist eine Substanz, die leicht die Blut-Hirn-Schranke überwindet und somit auch rasch von der mütterlichen Blutbahn in die Muttermilch übergeht. Tatsächlich gleicht der Alkoholspiegel in der Milch nahezu dem Blutalkoholspiegel der Mutter. Es ist jedoch interessant zu wissen, dass die Resorptionsrate für Alkohol bei stillenden Frauen tendenziell erniedrigt ist. Das bedeutet, ein geringerer Anteil des konsumierten Alkohols gelangt überhaupt in den Blutkreislauf der Mutter.
Der Abbau von Alkohol im Körper erfolgt bei stillenden Frauen prinzipiell genauso wie bei anderen Erwachsenen. Er wird konstant über die Zeit abgebaut und ist in der Regel nach wenigen Stunden vollständig aus dem Blutkreislauf und somit auch aus der Muttermilch verschwunden. Die Dauer des Abbaus ist direkt proportional zur aufgenommenen Menge: Je mehr Alkohol konsumiert wurde, desto länger benötigt der Körper, um ihn vollständig zu eliminieren. Es gibt keine Methode, diesen Prozess zu beschleunigen – weder durch Warten, Trinken von Wasser noch durch “Abpumpen und Verwerfen” von Milch, da der Alkohol kontinuierlich aus dem Blut in die Milch übergeht, solange er im Blut vorhanden ist.
Die Wirkung von Alkohol auf die Stillhormone
Der Stillprozess wird maßgeblich durch Hormone gesteuert, und Alkohol kann diese empfindlichen Systeme beeinflussen.
Oxytocin und der Milchspendereflex
Oxytocin ist das Hormon, das für den sogenannten Milchspendereflex verantwortlich ist. Es bewirkt, dass die Milch aus den Brustdrüsen freigesetzt wird. Die Alkoholeinnahme führt zu einem unmittelbaren Absinken des Oxytocin-Spiegels. Dieser Effekt ist jedoch primär bei hohen Alkoholdosen relevant. Beim Konsum von kleinen bis mäßigen Mengen ist lediglich eine geringe Verzögerung des Milchspendereflexes zu erwarten. Dieser Effekt hält nur an, solange sich Alkohol im mütterlichen Blutkreislauf befindet.
Prolaktin und die Milchproduktion
Auch auf das Hormon Prolaktin, das die Milchbildung anregt, hat Alkohol eine Wirkung, die allerdings komplexer ist. Die weit verbreitete Annahme einer “milchbildenden Wirkung” von Bier beruht entgegen der Volksmeinung nicht auf dem Alkoholgehalt. Vielmehr wird vermutet, dass ein bestimmter Gerstenmalz-Zucker im Bier diese Wirkung hervorruft. Alkoholisches Bier trägt also nicht zur Milchbildung bei, und alkoholfreies Bier wäre in diesem Kontext die bessere Wahl, wenn man diesen Effekt nutzen möchte. Die allgemeine Darmgesundheit spielt ebenfalls eine Rolle für das Wohlbefinden stillender Mütter.
Auswirkungen von Alkohol auf das gestillte Kind
Die größte Sorge stillender Mütter gilt natürlich dem Wohl ihres Babys. Die Auswirkungen von mütterlichem Alkoholkonsum auf den Säugling sind stark von der Menge des konsumierten Alkohols abhängig.
Risiken bei hohem Alkoholkonsum
Hohe Dosen von Alkohol, die eine stillende Mutter zu sich nimmt, stellen ein ernsthaftes Risiko für das Kind dar. In Einzelfallberichten, in denen Mütter große Mengen an Alkohol konsumierten oder an Alkoholismus litten, zeigten die Säuglinge auffälliges Schlafverhalten, eine verminderte Fähigkeit zu saugen, eine erhöhte Gewichtszunahme und/oder Anzeichen einer Vergiftung. Langfristiger, exzessiver Alkoholkonsum kann die Entwicklung des Kindes beeinträchtigen und birgt erhebliche Gesundheitsrisiken, darunter auch schwerwiegende Lebererkrankungen wie die Leberzirrhose.
Leichte Effekte bei maßvollem Konsum
Ein gelegentlicher und maßvoller Konsum von Alkohol führt hingegen tendenziell höchstens zu leichten und vorübergehenden Verhaltensänderungen beim Säugling. In den ersten Stunden nach der Einnahme nimmt das Kind möglicherweise etwas weniger Milch zu sich. Dieser anfängliche Rückgang wird jedoch oft durch eine erhöhte Trinkfrequenz einige Stunden später wieder ausgeglichen. In einigen Fällen können die Kinder insgesamt etwas unruhiger oder gereizter wirken. Diese Effekte sind jedoch nicht als schädigend im Sinne einer Vergiftung zu verstehen, sondern eher als leichte, vorübergehende Irritationen.
Baby wird von Mutter gestillt als Symbol für gesunde Entwicklung und natürliche Ernährung
Wissenschaftliche Empfehlungen für stillende Mütter
Die aktuelle Studienlage, zusammengefasst unter anderem von Dr. Anderson und auch von deutschen Experten wie Embryotox, kommt zu dem Schluss, dass ein gelegentlicher Alkoholkonsum in kleinen Mengen mit dem Stillen vereinbar ist.
Dr. Anderson empfiehlt konkret, nach der Einnahme von Alkohol möglichst eine kurze Stillpause von etwa 2 bis 2,5 Stunden einzuhalten. Diese Zeitspanne ermöglicht es dem mütterlichen Körper, den Alkohol größtenteils abzubauen, bevor das Baby wieder gestillt wird. Je nach Menge des Alkohols kann diese Pause auch länger ausfallen. Als Faustregel gilt, dass der Alkohol abgebaut ist, wenn die Mutter sich wieder nüchtern fühlt.
Größere Mengen an Alkohol sollten in der Stillzeit ebenso vermieden werden wie chronischer, regelmäßiger Alkoholkonsum. Im Zweifelsfall oder bei Unsicherheit ist es immer ratsam, auf Alkohol zu verzichten oder eine Hebamme, Stillberaterin oder den behandelnden Arzt zu konsultieren.
Ergänzende Informationen für den deutschsprachigen Raum:
Die Empfehlungen der deutschen Embryotox und der Autoren des Buches “Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit” (8. Auflage, Verlag Urban & Fischer) sind vergleichbar und bestätigen diese Haltung:
“Gelegentlicher geringer Alkoholgenuss (z.B. 1- bis 2-mal wöchentlich 100 ml Sekt) während der Stillzeit schädigt den Säugling offenbar nicht. Bei chronischem oder auch gelegentlichem exzessiven Alkoholkonsum muss abgestillt werden.”
Praktische Tipps für den Alltag
Wenn Sie gelegentlich ein Glas Alkohol genießen möchten, beachten Sie folgende Hinweise, um die Sicherheit Ihres Babys zu gewährleisten:
- Zeitpunkt wählen: Trinken Sie Alkohol direkt nach dem Stillen oder während einer längeren Schlafphase des Babys.
- Menge begrenzen: Beschränken Sie sich auf kleine Mengen (z.B. ein kleines Glas Wein oder Bier).
- Warten: Halten Sie die empfohlene Stillpause von 2-2,5 Stunden pro Standardglas Alkohol ein. Bei größeren Mengen entsprechend länger.
- Im Vorfeld stillen oder abpumpen: Wenn Sie wissen, dass Sie Alkohol trinken werden, stillen Sie das Baby vorher oder pumpen Sie Milch ab, die Sie später verfüttern können.
- Beobachten Sie Ihr Baby: Achten Sie auf Verhaltensänderungen Ihres Babys. Wenn Sie besorgt sind, sprechen Sie mit einem Fachmann.
Bei gesundheitlichen Beschwerden wie Durchfall oder einer Erkältung während der Stillzeit sollten Sie sich ebenfalls ärztlich beraten lassen, um die besten Behandlungsoptionen zu finden, die mit dem Stillen vereinbar sind.
Fazit
Die Studienlage ist eindeutig: Ein gelegentlicher und moderater Alkoholkonsum in der Stillzeit ist in der Regel mit dem Stillen vereinbar und birgt für das gestillte Kind keine nachweisbaren Risiken, vorausgesetzt, bestimmte Vorsichtsmaßnahmen werden beachtet. Wichtig ist, hohe Dosen und chronischen Alkoholkonsum zu vermeiden. Mütter sollten sich stets an vertrauenswürdige Quellen wie Embryotox oder LactMed halten und im Zweifelsfall professionellen Rat einholen. So können sie fundierte Entscheidungen treffen, die sowohl ihr eigenes Wohlbefinden als auch die Gesundheit ihres Babys berücksichtigen.
Referenzen
- Anderson, Philip. Alcohol Use During Breastfeeding. Breastfeeding Medicine, Volume: 13 Issue 5: June 1, 2018. https://doi.org/10.1089/bfm.2018.0053
- Embryotox – Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie: “Alkohol”, Charité – Universitätsmedizin Berlin. (Zugriff am 10. Mai 2024).
- Schaefer, Christof; Spielmann, Hans; Vetter, Klaus. Arzneimittel in Schwangerschaft und Stillzeit. 8. Auflage, Verlag Urban & Fischer, 2012.
