Das ungeschlagene Wunder von Bayer Leverkusen fand ein jähes Ende. Nach beeindruckenden 43 nationalen Spielen in 463 Tagen musste sich das Team von Xabi Alonso am Samstagabend zu Hause im BayArena mit 3:2 gegen RB Leipzig geschlagen geben. Die späten Tore, die eigentlich die Spezialität der Werkself waren, reichten dieses Mal nicht aus, um eine Niederlage abzuwenden. Zwar ging Leverkusen in der ersten Halbzeit mit 2:0 in Führung, doch Leipzig zeigte eine starke Leistung mit Tempo und Durchschlagskraft.
Ein Spiel voller ungewöhnlicher Umstände
Die Partie selbst war von einer seltsamen Stimmung geprägt. Leipzigs Trainer Marco Rose verfolgte den Großteil des Spiels von der Pressetribüne aus, nachdem er wegen Meckerns innerhalb von 30 Sekunden zweimal verwarnt worden war. Leverkusen, das so lange Zeit wie ein perfekt geöltes Uhrwerk agiert hatte, wirkte ungewohnt flach und verletzlich, zusätzlich belastet von einer unheilvollen Woche mit unglücklichen Nachrichten. Die Gäste aus Leipzig wussten diese Schwäche jedoch auszunutzen.
Die ungewöhnliche Energie rund um Leverkusen baute sich bereits 24 Stunden vor dem Anpfiff auf. Den Sommer über war erwartet worden, dass Jonathan Tah, das Herzstück der Leverkusener Abwehr, zu Bayern München wechseln würde. Dieser Transfer zerschlug sich zwar, doch die Verhandlungen hatten offensichtlich Spuren hinterlassen und die Beziehung zwischen den Vereinen belastet.
Bereits Mitte August hatte Fernando Carro, der Vorstandsvorsitzende von Leverkusen, in einer Veranstaltung mit Fans abfällige Bemerkungen über Max Eberl, Sportvorstand des FC Bayern, gemacht und erklärt, er halte “nichts, absolut nichts” von ihm. Dies führte zu einer öffentlichen Rüge von Jan-Christian Dreesen, seinem Gegenüber bei den Bayern, und einer schnellen Entschuldigung von Carro, der zugab, “überemotional” gewesen zu sein.
Jonathan Tah wurde erwartet, Leverkusen für Bayern zu verlassen (Rene Nijhuis/Getty Images)
Die Situation flammte am Freitagabend erneut auf, kurz nach Schließung des deutschen Transferfensters. In einem Interview mit Sky Deutschland beschuldigte Tahs Berater, Max Bielefeld, Carro, das Scheitern des Transfers verursacht zu haben. Er kritisierte dessen Verhalten und deutete an, dass sein Klient immer noch Groll hege. “Es gibt eine Sache, die die Verhandlungen wirklich verkompliziert hat”, sagte Bielefeld. “Das waren die öffentlichen Aussagen von Fernando Carro. Das hat die Situation von Verhandlungen zu einer persönlichen Angelegenheit verschoben, und danach waren die Gespräche vergiftet. Wir alle, einschließlich Jonathan, hätten gewünscht, dass Fernando Carro das etwas professioneller gehandhabt hätte. Aus unserer Sicht war das nicht professionell.”
Leverkusen lehnte eine Stellungnahme zu Bielefelds Äußerungen ab. Doch Tah, ein Führungsspieler in der Kabine und deutscher Nationalspieler, geht nun in sein letztes Vertragsjahr und gibt keinerlei Anzeichen, diesen verlängern zu wollen.
Die Kameras richteten sich auf Carro, der nach dem Anpfiff nervös auf seinem Platz Platz nahm. Auch Tah stand im Rampenlicht der Medien bei seinem Aufwärmen. Es war ein Melodrama, wie es oft um den FC Bayern existiert, aber in Leverkusen selten erlebt wird. Je mehr Spiele die Werkself in der vergangenen Saison gewann, desto größer wurde das Lob. Sie wurden als Gegenentwurf zu den elf aufeinanderfolgenden Bundesliga-Titeln der Bayern gefeiert. “Ich würde lügen, wenn ich sage, dass es nicht anstrengend war, mit so viel Hin und Her”, sagte Tah vor dem Spiel gegenüber Sky und beteuerte, dass er bei den Meistern glücklich sei. Doch niemand glaubt das so recht, und da Leverkusen verlor und Tah nicht seine beste Leistung zeigte, lebt diese Geschichte weiter.
Dies ist jedoch nicht zwangsläufig fair. Leverkusen hatte Gelegenheiten zum Ausgleich, und Leipzigs Torhüter Peter Gulacsi zeigte eine herausragende Leistung. Auch wenn dies eine Niederlage war, war es keine implosion und kein Grund zur Sorge über die zukünftige Entwicklung von Leverkusen. Sie erspielten sich gute Chancen, nutzten sie aber nicht.
RB Leipzig – Eine unterschätzte Kraft
Dennoch fühlte es sich wie ein Wendepunkt für Roses Leipziger an. Seit seinem Amtsantritt zu Beginn der Saison 2022/23 war sein Team launisch und talentiert, aber eben auch eine Mannschaft, auf die man sich nicht immer verlassen konnte. Doch diese Sichtweise ist mittlerweile veraltet. Während Leverkusen seine Rekordserie aufbaute, sammelte Leipzig eine beeindruckende eigene Serie. Vor dem Spiel am Samstag war das Team von Rose seit Februar ungeschlagen, als sie in München mit 2:1 gegen Bayern verloren.
Diese Form wurde teils überschattet von der Leverkusener Geschichte, die alle Aufmerksamkeit auf sich zog, aber auch durch die Rolle, die Leipzig im deutschen Fußball einnimmt. Konstruiert auf eine Weise, die es ihnen erlaubt, die 50+1-Regel künstlich zu erfüllen, werden sie von den meisten Fans im Land tief verachtet. Unpopulär und unbeliebt, erhalten sie wenig mediale Aufmerksamkeit und werden eher ignoriert, es sei denn, es gibt keine andere Wahl.
Intern ist man bei Leipzig zufrieden mit dieser Saison und zuversichtlich bezüglich des gerade geschlossenen Transferfensters. Xavi Simons, der gegen Leverkusen exzellent spielte, konnte für ein weiteres Jahr von Paris Saint-Germain ausgeliehen werden. Antonio Nusa, der fabelhaft begabte norwegische Stürmer, kam für eine geringe Ablösesumme. Benjamin Sesko und Lois Openda, ihre Offensivjuwelen, wurden gehalten. Zudem sind El Chadaille Bitshiabu (19) und der 21-jährige Castello Lukeba, ein Duo hochtalentierter junger Verteidiger, ein Jahr älter und in ihrer zweiten Profisaison.
Lois Openda (rechts) jubelt über das Tor, das Leverkusens Serie beendete (Oliver Kaelke/DeFodi/Getty Images)
Auch wenn es Abgänge gab, wurden diese jeweils durch Umstände abgemildert. Dani Olmo wurde für 60 Millionen Euro an den FC Barcelona verkauft – eine tolerierbare Summe für einen Spieler, der aufgrund von Verletzungen oft nicht zur Verfügung stand. Mohamed Simakan, der talentierte französische Verteidiger, durfte gehen, nachdem er ein verlockendes Angebot von Al Nassr aus der Saudi Pro League erhalten hatte. Als Ersatz ist Lutsharel Geertruida von Feyenoord, der 2023 mit Arne Slot die Eredivisie gewann, bereits eingetroffen.
Es lohnt sich, sich daran zu erinnern, dass Leipzig in beiden Bundesliga-Spielen in der letzten Saison knapp an Leverkusen dran war und jeweils mit 3:2 verlor. Alonso’s Defensive hatte mit ähnlichen Problemen zu kämpfen – mit Openda’s teuflischer Geschwindigkeit und tödlicher Präzision sowie mit Simakan’s wandernden Läufen und bezaubernder Technik. Beide Spieler waren auch am Samstagabend wieder enorm einflussreich – Openda zeigte vielleicht die beste Leistung seiner bisherigen Bundesliga-Karriere, erzielte das zweite und dritte Tor und hielt gleichzeitig dem physischen Kampf der Leverkusener Innenverteidiger stand. Der Belgier ist begabt, aber er kann sich auch behaupten und verkörperte den kämpferischen Geist von Leipzig.
Und ein Sieg dieser Art hinterlässt oft ein Vermächtnis. Als der Schlusspfiff ertönte, strömten die Leipziger Auswechselspieler auf den Platz, als würden sie einen großen Erfolg feiern. War das ein solcher Erfolg? Vielleicht.
Rose musste auf seinen gesperrten Kapitän Willi Orban verzichten. Er verlor nach einem Kopfballduell in der ersten Halbzeit seinen Schlüsselspieler im Mittelfeld, Amadou Haidara. Die Mittelfeldspieler Christoph Baumgartner und Xaver Schlager waren verletzt und nicht einsatzfähig (Baumgartner kam in den letzten Minuten noch zum Einsatz). Und natürlich musste er nach einer absurden Meckerei gegenüber dem Schiedsrichter und einem seltsamen Kontrollverlust eine Stunde des Spiels von einem Sitzplatz ganz oben auf der Haupttribüne aus verfolgen.
Doch trotzdem hat Leipzig die Ziellinie überquert. Ja, im Moment sind wir erst zwei Spiele in der Saison, und dies ist nur der Abschluss einer prächtigen Leverkusener Errungenschaft. Aber mit der Zeit wird man sich fragen, wie viel dieser Glaube für Rose und seine Spieler wert sein könnte und wie er sie über die Theorie hinaus zu etwas Greifbarem machen könnte.
