Die deutsche Gesellschaft steht an einem Scheideweg. Geprägt von jahrzehntelangem Wirtschaftswachstum und einer starken Konsumorientierung, werden wir nun mit den unumgänglichen Folgen unseres Handelns konfrontiert: die Klimakrise und die Endlichkeit natürlicher Ressourcen. Die Frage ist nicht mehr, ob wir unser Konsumverhalten ändern müssen, sondern wie und wann dieser grundlegende Wandel im kollektiven Bewusstsein stattfinden kann. Die Normalisierung von Verzicht ist dabei keine ferne Utopie, sondern eine dringende Notwendigkeit, die, richtig angegangen, sogar zu einem tieferen Wachstum der Zufriedenheit innerhalb der deutschen Gesellschaft führen kann.
Wir erinnern uns an die Anfänge der Gurtpflicht in den 1970er Jahren. Die anfängliche Ablehnung und die gefühlte Einschränkung der persönlichen Freiheit wichen nach der Einführung von Bußgeldern rasch der Akzeptanz. Heute ist das Anlegen des Sicherheitsgurtes eine Selbstverständlichkeit. Diese historische Lektion lehrt uns, dass gesellschaftliche Normen und Gewohnheiten durch gezielte Anreize und klare Regeln verändert werden können. Dieses Prinzip lässt sich auf viele Bereiche unseres heutigen Lebens übertragen, insbesondere auf das Konsumverhalten in der deutschen Konsumgesellschaft.
Deutschland als Spiegelbild einer globalen Konsumgesellschaft
Der Konsum bildet zwar die treibende Kraft für Wirtschaftswachstum und Wohlstand in Deutschland. Doch eine besorgniserregende Entwicklung zeichnet sich ab: Konsum wird oft zum Selbstzweck. Laut Erhebungen aus dem Jahr 2019 machen Ausgaben für Bekleidung und Schuhe etwa 5 Prozent der gesamten Konsumausgaben aus, für Verkehr 14 Prozent und für andere Waren und Dienstleistungen 12 Prozent. Dieser Lebensstil verbraucht immense Mengen an Energie und natürlichen Ressourcen, die weit über die Regenerationsfähigkeit unserer Erde hinausgehen. Ein florierendes Ökosystem ist jedoch die unabdingbare Grundlage für jeglichen Wohlstand. Angesichts der Tatsache, dass unsere Industrie, unsere globalen Reisen und unser Konsum maßgeblich zur Klimakrise beitragen, liegt es in unserer Verantwortung, unsere Wirtschaftsweise und unser Konsumverhalten grundlegend zu überdenken. Solange gesellschaftliche Normen jedoch den Wert eines Menschen an seinen Besitz koppeln, ist ein kollektives Handeln schwierig. Die Politik kann hier einen entscheidenden Rahmen schaffen, um ein geregeltes und nachhaltigeres Konsumverhalten zu fördern und einen Wandel im Bewusstsein anzustoßen.
Doch welche konkreten Maßnahmen sind hierfür notwendig und wie kann ein Wandel im Mindset der Bevölkerung effektiv initiiert werden?
Handlungsempfehlungen und die Suche nach einem neuen Wachstumsverständnis
Die Bundesregierung hat mit ihrem „Nationalen Programm für nachhaltigen Konsum“ von 2019 die Notwendigkeit eines nachhaltigen Konsumierens anerkannt, das die Belastungsgrenzen der Erde achtet und die Bedürfnisse zukünftiger Generationen berücksichtigt. Das Programm benennt wichtige Handlungsfelder und Maßnahmen zur Förderung eines Strukturwandels. Ziel ist es, Verbraucher*innen die Konsequenzen ihres Konsums transparent und verständlich zu machen, um ihre Entscheidungs- und Handlungskompetenz zu stärken. So sollen sie auch bei verlockenden Angeboten wie am Black Friday ihr Kaufverhalten kritisch hinterfragen und nachhaltiger agieren können.
Allerdings fehlt in diesem Programm eine tiefgreifende Kritik am vorherrschenden Wachstumsverständnis in Deutschland. Dieses basiert auf der Annahme eines exponentiellen Wachstums, was in einer Welt begrenzter Ressourcen zu einem fundamentalen Konflikt führt. Aussagen wie die von FDP-Chef Christian Lindner, der 2019 betonte, dass er auf Technik setze, um ein “Weiter so” zu ermöglichen, anstatt auf Verzicht, verdeutlichen diese Diskrepanz. Die Hoffnung, technische Innovationen allein könnten die Klimakrise abmildern, ignoriert oft den sogenannten Rebound-Effekt. Effizientere Motoren führen zu schwereren Autos und höherem CO2-Ausstoß.
Illustration eines überfüllten Supermarkts mit vielen Konsumgütern
Der Postwachstumsökonom Niko Paech kritisiert diese Technikgläubigkeit als einen Irrweg, der nicht nur in der Umsetzung versagt, sondern auch als Alibi dient, um den aktuellen Lebensstandard nicht in Frage zu stellen. Diese Kluft zwischen Konsumwunsch und dem Wunsch nach verantwortungsvollem Handeln ist weit verbreitet.
Die Unumgänglichkeit des Verzichts und die soziale Frage
Bernd Ulrich, stellvertretender Chefredakteur der Zeit, plädierte ebenfalls für Konsumverzicht und bezeichnete das „Verzichtsfreiheitsversprechen“ als eine Verweigerung, die ökologische Wende ernsthaft anzugehen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Dringlichkeit erkannt, indem es eine Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutzgesetz teilweise stattgab. Die Verschiebung hoher Emissionsminderungslasten auf die Zukunft verletzt die Freiheitsrechte junger Generationen, da dies nach 2030 zu drastischen Einschränkungen in nahezu allen Lebensbereichen führen könnte. Die Vermeidung von Einschränkungen wird so lediglich in die Zukunft verlagert.
Es ist jedoch essenziell, die Verantwortung nicht allein auf die einzelnen Verbraucher*innen abzuwälzen. Die Klimakrise und ihre Bewältigung sind zutiefst soziale Fragen. Entwicklungsministerin Svenja Schulze betont zu Recht, dass die Ärmsten am härtesten von der Klimakrise betroffen sind und klimaschützende Maßnahmen sozial gerecht gestaltet sein müssen. Umweltsteuern belasten einkommensschwache Haushalte überproportional, während sie gleichzeitig am stärksten unter den Folgen von Umweltverschmutzung und Klimawandel leiden. Die derzeitige deutsche Klimapolitik war oft sozial ungerecht. Zukünftige Gesetze müssen einkommensschwache Haushalte stärker berücksichtigen. Strukturelle Voraussetzungen, wie eine moderne, klimafreundliche Infrastruktur und ein energieeffizienter Gebäudebestand, müssen geschaffen werden, um allen ein nachhaltiges Leben zu ermöglichen. Die Möglichkeit, qualitativ hochwertigere und langlebigere Produkte zu erwerben, muss für finanziell schwächere Haushalte erschwinglich werden, um zu verhindern, dass die Verantwortung auf sie abgewälzt wird, während einkommensstarke Haushalte, die oft einen größeren ökologischen Fußabdruck hinterlassen, sich entziehen. Wir sehen hier eine klare Verbindung zum Thema wirtschaft und gesellschaft, wo Ungleichheit eine nachhaltige Entwicklung erschwert.
Nachhaltigkeit, Wachstum und die Chance auf Zufriedenheit
Der „Green New Deal“ wird oft als Lösungsansatz für die Klimakrise genannt, der eine ökologische und gerechte Umsteuerung durch staatliche Eingriffe vorsieht. Ein alternativer Ansatz, wie ihn Claus Michelsen, ehemaliger Abteilungsleiter Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, vorschlägt, differenziert zwischen Nachhaltigkeit und Konsumwachstum. Er argumentiert, dass Wachstum nicht ausbleiben muss, wenn es in Vermeidung und die Entwicklung von Vermeidungstechnologien investiert wird. Dies bedeutet zwar weniger Konsum, aber nicht weniger wirtschaftliche Aktivität. Dies unterscheidet sich von der reinen Postwachstumsargumentation, die auf Konsumverzicht abzielt. Der ökologische Umbau der Wirtschaft erfordert Investitionen und damit Arbeit, jedoch nicht zwangsläufig für Konsumgüter.
Die Frage, wer auf was verzichten muss und wie die Politik dies steuern kann, bleibt zentral. Der kanadische Professor für Umweltwissenschaften, Vaclav Smil, verweist auf Studien, die eine Stagnation der Lebenszufriedenheit in den reichsten Ländern aufzeigen. Dies birgt die Chance, durch Mäßigung Zufriedenheit auf anderen Wegen als durch Konsum zu finden.
Ein Wachstum der Zufriedenheit anstelle von Konsum
Was wäre, wenn Staat und Gesellschaft gemeinsam auf ein neues Wachstumsziel hinarbeiten würden? Nicht ein Wachstum des Konsums oder des Bruttoinlandsproduktes, sondern ein Wachstum der Zufriedenheit. Dies erfordert eine Neudefinition von Werten in der deutschen Gesellschaft. Es braucht eine Gemeinschaft, in der der eigene Wert nicht mehr primär über Besitz und Konsum definiert wird. Es braucht eine Gesellschaft, die Verantwortung für zukünftige Generationen übernimmt und eine Wirtschaftsweise pflegt, die über das Hier und Jetzt hinausdenkt. Dies könnte ein Weg sein, die Herausforderungen der konsum gesellschaft erfolgreich zu meistern und ein erfüllteres Leben für alle zu ermöglichen.
