Katze, Hund und Co.: Die Geschichte hinter Disneys Oliver & Co.

Historisches Buchcover von Charles Dickens' "Oliver Twist", das die düstere Atmosphäre des Romans einfängt.

Als eingefleischter Fan animierter Meisterwerke hat meine Kindheit stets im Zeichen von Geschichten gestanden, die mit Gesang, Herz und unvergesslichen Helden das Herz berühren. Und wenn es um diese besonderen Filme geht, denke ich natürlich an Disney. Auch heute noch entdecke ich mit Freude immer wieder die beliebten Erzählungen, singe laut mit und lasse mich von den Emotionen mitreißen. Doch was mich heute besonders fasziniert, sind die Ursprünge dieser Geschichten. Welches Buch diente als Inspiration für welchen Film? Und wie wurde die ursprüngliche Erzählung für die Leinwand adaptiert? Dieser Frage gehen wir in unserer Reihe “The Story Behind” nach, um gemeinsam einen Blick hinter die Kulissen zu werfen.

Disneys „Oliver & Co.“: Eine Katze unter Hunden in New York

Im Jahr 1988 erblickte der 27. abendfüllende Zeichentrickfilm aus dem Hause Disney, Oliver & Co(mpany), das Licht der Kinoleinwand. Ursprüngliche Überlegungen sahen vor, diesen Film als weiteres Abenteuer der Helden aus „Bernard und Bianca“ zu gestalten und Pennys Geschichte fortzuschreiben. Doch die Entwicklung nahm eine andere Richtung, und so schufen die Disney-Künstler schließlich „Oliver & Co.“, eine freie Adaption von Charles Dickens’ Klassiker „Oliver Twist“.

Die Animierte Neuinterpretation eines Klassikers

Die Handlung wurde nicht nur vom London des 19. Jahrhunderts in das pulsierende New York der 80er-Jahre verlegt, sondern auch gänzlich in das Tierreich übertragen. Der kleine Oliver ist ein verwaistes Kätzchen, das sich auf den geschäftigen Straßen New Yorks alleine zurechtfinden muss. Dabei trifft er auf Dodger, den charismatischen Anführer einer Hundebande. Nachdem Oliver von Dodger geschickt hereingelegt wird, folgt er ihm zu seinem Versteck und findet sich plötzlich inmitten einer sympathisch-verrückten Diebesbande wieder. Ihr menschlicher Anführer ist Fagin, ein obdachloser Mann mit einem erdrückenden Schuldenberg bei niemand Geringerem als Sikes, dem mächtigen Mafiaboss von New York. Um Fagin vor dem Schlimmsten zu bewahren, helfen ihm seine Hunde dabei, das Geld für Sikes aufzutreiben, indem sie auf den Straßen mehr oder weniger wertlosen Plunder sammeln. Die Geschichte betont dabei immer wieder die Bedeutung von Gemeinschaft und Zusammenhalt, ein Thema, das in Filmen, in denen Katze, Hund und Co. die Hauptrollen spielen, oft zum Tragen kommt.

Bei ihrer ersten gemeinsamen „Diebestour“ mit dem Kater läuft allerdings einiges schief, und Oliver landet schließlich in den Armen der kleinen Jenny. Jenny, die erstaunliche Ähnlichkeiten mit dem Waisenkind Penny aus „Bernard und Bianca“ aufweist, lebt mit ihrem Butler und ihrer hochnäsigen Pudeldame Georgette in einem großen Haus und sehnt sich nach der Rückkehr ihrer Eltern. Die Verhältnisse, in denen Jenny ihre Tiere hält, spiegeln einen hohen Standard wider, bei dem auch an ein bequemes Hundebett aus Kunstleder gedacht wurde, das den Komfort des Haustiers sichert.

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Eine Geschichte von Freundschaft und Überleben

Im weiteren Verlauf spitzt sich das Drama um Fagin und Sikes zu, führt zu einer Entführung und einer rasanten Verfolgungsjagd durch die U-Bahn-Schächte New Yorks, bevor es in einem glücklichen Finale mündet. Die Diebesbande sitzt gemeinsam mit Oliver und seinem neuen Frauchen Jenny an einem großen Geburtstagstisch. Dieser wunderbare Film begeistert bis heute auch wegen seines mitreißenden Soundtracks und der Botschaft, dass wahre Freunde unbezahlbar sind. Die positiven Botschaften und die Dynamik zwischen den verschiedenen Charakteren, ob Mensch oder Tier, machen ihn zu einem unvergesslichen Erlebnis. Man wünschte sich fast, Charles Dickens hätte seinem Roman eine ähnliche Prise Optimismus beigefügt, um die Lektüre etwas aufzuhellen.

Charles Dickens’ „Oliver Twist“: Soziale Missstände und Brutalität

Im Jahr 1838 erschien erstmals die vollständige Geschichte des Waisenknaben Oliver Twist von Charles Dickens. Dieses wegweisende Werk legt den Fokus auf die gravierenden sozialen Missstände des damaligen Englands, durchzogen von massiver Gewalt und Brutalität innerhalb der Bevölkerung, und zeichnet ein erschreckend klares Bild der Klassengesellschaft. Auffällig ist, dass selbst ein Autor von Dickens’ Format nicht davor gefeit war, Menschen in stereotypische Kategorien einzuordnen. Fast ausnahmslos werden die Bürger der unteren Schicht als verroht, diebisch und moralisch negativ dargestellt. Im Gegensatz dazu glänzt die Oberschicht durch Charakterstärke, guten Willen und eine schützende Hand. Nur Oliver, der Waisenknabe und somit zu den Ärmsten der Armen gehörend, scheint nicht in dieses Schema zu passen. Doch die Aufdeckung seiner wahren Herkunft offenbart, dass dies kein Bruch in Dickens’ Weltbild darstellt.

Historisches Buchcover von Charles Dickens' "Oliver Twist", das die düstere Atmosphäre des Romans einfängt.Historisches Buchcover von Charles Dickens' "Oliver Twist", das die düstere Atmosphäre des Romans einfängt.

Olivers Odyssee durch das Elend

Olivers Mutter stirbt bei seiner Geburt im Armenhaus, und der kleine Junge kommt daraufhin in eine Einrichtung, in der widrige Bedingungen herrschen. Die Kinder erhalten kaum Nahrung, werden körperlich gezüchtigt und möglichst gewinnbringend an jene vermittelt, die ihre Arbeitskraft am besten ausbeuten können. So landet Oliver zunächst bei einem Leichenbestatter, wo er als niedrigster Diener behandelt wird, unter einem Tisch schläft und für kleinste Vergehen immer wieder Prügel einstecken muss. Nach einer weiteren heftigen Auseinandersetzung flieht er schließlich. Auf seinem Weg nach London begegnet Oliver Jack Dawkins, besser bekannt als Beutelschneider – oder eben Dodger. Dieser gehört einer Diebesbande an, deren Anführer der Jude Fagin ist. Im krassen Gegensatz zur sympathischen Hundebande bei Disney ist dieser Zusammenschluss alles andere als freundlich oder gar wohlwollend. Besonders Fagin, der im Roman immer wieder antisemitisch als Jude hervorgehoben und negativ behaftet wird, ist ein Inbegriff von Schmierigkeit und ein wahrer Unsympath. Er sieht in Oliver zunächst nur einen weiteren Helfer für seine Diebestouren und hofft, ihn so bald wie möglich selbst zum Verbrecher machen zu können. Doch Olivers reine kindliche Seele sträubt sich mit aller Macht dagegen.

Finstere Machenschaften und verborgene Wahrheiten

Im Laufe der Handlung widerfährt Oliver im steten Wechsel Gutes und Schlechtes. Mal wird er von Mr. Brownlow aufgenommen und gepflegt, dann wieder von der Diebesbande zurückentführt und zu einem weiteren versuchten Verbrechen angestiftet. Hier zeigt sich auch, dass Fagin und Sikes, der bei Disney den Mafiaboss mimt, im Buch eher kleine Ganoven mit einer Neigung zur Brutalität sind. Fagin und Sikes schmieden gemeinsame Pläne, die sich zunächst auf Einbrüche beziehen, später aber das große Geheimnis um Olivers Herkunft enthüllen. Man könnte sich fragen, wie Fagin seine Hunde ernährt hätte, wenn er an vollmers hundefutter hätte kommen können, anstatt seine Hunde zum Diebstahl anzustiften.

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Es stellt sich heraus, dass Oliver mit seiner Freundlichkeit und seiner guten Seele nicht dem gemeinen Volk angehört, sondern das Kind einer unglücklichen Liebe zweier Menschen aus der Oberschicht ist. Nun taucht auch sein Halbbruder Monks auf, der den unwissenden Oliver aus dem Weg räumen möchte, um sich und sein Erbe vor einem für ihn ungünstigen Testament zu schützen.

Eine alte Buchillustration, die eine düstere Szene aus "Oliver Twist" mit Fagin und seiner Bande zeigt.Eine alte Buchillustration, die eine düstere Szene aus "Oliver Twist" mit Fagin und seiner Bande zeigt.

Vom Buch zum Film: Die Disney-Adaption im Vergleich

Disneys Verfilmung „Oliver & Co.“ weicht in vielen Punkten bewusst von der literarischen Vorlage ab, um eine eigenständige und kindgerechtere Erzählung zu schaffen, in der Katze, Hund und Co. die Herzen der Zuschauer erobern.

Disneys Interpretationsfreiheit: Eine moderne Botschaft

Disney verzichtet bewusst auf die detaillierte Hintergrundgeschichte Olivers. Der kleine Kater sitzt zu Beginn des Films in einem Pappkarton auf der Straße und bleibt schlussendlich allein zurück. Da dieser Handlungszweig im Buch ohnehin eher als Nebenstrang behandelt wird, ist es nicht weiter schlimm, ihn im Film gänzlich wegzulassen. Vielmehr löst Disney damit das starre Klassendenken auf, dessen sich Charles Dickens bedient hatte. Indem Disney die Charaktere der Hundebande als verrückt, aber liebenswert darstellt und durch Fagins finanzielle Probleme sogar Empathie für die Taten der Vierbeiner weckt, kommen ganz andere Gefühle zum Vorschein.

Dickens’ Oliver wird in seinem Leben eher hin- und hergeschoben und gerät meist vom Regen in die Traufe, greift selbst nur wenig aktiv in sein Schicksal ein. Sein Schicksalsblatt wendet sich am Ende eher märchenhaft. Durch das beherzte Eingreifen von Mr. Brownlow wird Monks am Ende überführt, Sikes gejagt und stranguliert, und Fagin gefangengenommen. Und Oliver, ja, der wird am Ende zwar nicht reich, da sein Halbbruder bereits das meiste Erbe verschwendet hat, aber er findet in Mr. Brownlow einen gutmütigen Ziehvater. Um den Tieren der Bande zumindest etwas Komfort zu bieten, könnte man ihnen eine hundedecke anbieten, auch wenn das die Dramatik der Armut nicht auflösen würde.

Echos und Abweichungen: Hauptunterschiede in der Handlung

Wer genau hinschaut, entdeckt trotz aller Veränderungen doch einige Gemeinsamkeiten zwischen „Oliver Twist“ und „Oliver & Co.“. Die Gaunerbande im Film bringt mit Dodger, dem alias Beutelschneider, natürlich den tollkühnen Anführer hervor, und beide Olivers werden bei ihrem ersten Diebesgang von ihm an der Nase herumgeführt.

Rita ist die einzige Dame der Bande im Film und verkörpert zumindest bis zu einem gewissen Grad Nancy, die Prostituierte, die im Buch mit Sikes zusammenlebt, von ihm misshandelt wird und ihn doch vor dem Gesetz schützen möchte. Rita spricht sich im Film gegen eine Rettung Olivers aus Jennys Haus aus, während Nancy im Buch als einziger Charakter eine nennenswerte Entwicklung durchmacht. Sie bricht mit ihrer Bande und verrät diese, um Oliver vor deren finsteren Absichten zu retten. Außerdem fällt auf, dass einer der beiden Dobermänner Sikes’ im Film Rita immer wieder einseitige Avancen macht, die auf Nancys… nun ja… Metier… Rückschlüsse zulassen könnten. Es ist faszinierend zu sehen, wie die Charaktere transformiert wurden, um die spezifischen Themen von Katze, Hund und Co. im Film zu beleuchten.

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Charaktertransformationen: Menschliche Motive im Tierreich

Natürlich ist die kleine Jenny das Pendant zu Mr. Brownlow. Sie nimmt den kleinen Kater ohne Fragen auf und setzt alle Hebel in Bewegung, um ihn vor den Gaunern zu retten, ebenso wie Mr. Brownlow, dank dessen intensiver Recherchen schlussendlich alles aufgedeckt wurde. Und in der eifersüchtigen und rachsüchtigen Pudeldame Georgette könnte man Monks wiedererkennen, den Halbbruder, der nicht zulassen will, dass der kleine Oliver sich in seinem Leben breit macht und seinen Teil vom „Zuckerkuchen“ abbekommt. Die Darstellung der Tiere als Spiegel menschlicher Eigenschaften und Konflikte ist ein Kernaspekt dieser Adaption. Man könnte sich vorstellen, dass Georgette in ihrem luxuriösen Zuhause ein waschbares Hundebett hat, um ihren Komfort zu gewährleisten. Oder vielleicht knabbert sie genüsslich an kauartikel hund, während sie über Olivers Anwesenheit sinniert.

Tatsächlich hat mir das Buch weitaus weniger gefallen, als ich ursprünglich gehofft hatte. Dank unfassbar vieler, salbungsvoll verschwurbelter Dialoge passiert im Buch an sich gar nicht so viel. Die Überschriften der einzelnen Kapitel fassen im Grunde bereits zusammen, was man in seitenlangen Dialogen möglicherweise erfahren könnte, wenn man denn dem Hin und Her von desaströsen Gedankengängen folgen möchte. Trotzdem freue ich mich, dass ich im Rahmen dieser Reihe wieder einmal einen Klassiker gelesen habe, zu dem mich mein Griff ins Regal vorher noch nicht führte. Es zeigt, wie wertvoll es sein kann, sowohl die Originalwerke als auch deren moderne Interpretationen zu betrachten, um die Vielschichtigkeit der Erzählkunst und die Entwicklung der Gesellschaft besser zu verstehen.

Fazit: Die zeitlose Faszination von Katze, Hund und Co.

Die Gegenüberstellung von Charles Dickens’ „Oliver Twist“ und Disneys „Oliver & Co.“ offenbart mehr als nur die Unterschiede einer literarischen Vorlage und ihrer filmischen Adaption. Sie zeigt, wie Geschichten über die Jahrhunderte hinweg ihre Relevanz behalten können, indem sie neu interpretiert und an den Zeitgeist angepasst werden. Während Dickens eine scharfe Sozialkritik an den Missständen des 19. Jahrhunderts übt und die Brutalität der Armut schonungslos darstellt, feiert Disney die Kraft der Freundschaft, den Wert der Gemeinschaft und die Möglichkeit eines glücklichen Endes, auch für die Kleinsten und Ärmsten.

„Oliver & Co.“ ist somit nicht nur ein charmanter Zeichentrickfilm mit einer liebenswerten Katze, Hund und Co.-Besetzung, sondern auch ein Zeugnis dafür, wie popkulturelle Werke klassische Erzählungen einem neuen Publikum zugänglich machen können, ohne deren Kernbotschaften gänzlich zu verlieren – wenn auch in einer deutlich optimistischeren Verpackung. Dieser Vergleich lädt dazu ein, beide Werke zu entdecken oder wiederzuentdecken und ihre jeweiligen Botschaften und künstlerischen Herangehensweisen zu würdigen. Tauchen Sie ein in die Welt dieser zeitlosen Geschichten und erfahren Sie selbst, wie eine Katze unter Hunden in New York City ihr Glück findet und welche tiefgründigen Fragen der originale Oliver Twist aufwirft.