Das Hamburger Stadtderby zwischen dem Hamburger SV und dem FC St. Pauli, das vor über einem Jahrhundert, am 19. Oktober 1924, erstmals in ihrer heutigen Form ausgetragen wurde, ist weit mehr als nur ein Fußballspiel. Obwohl beide größten Vereine der zweitbevölkerungsreichsten Stadt Deutschlands nach Berlin mittlerweile ihre lang ersehnte Rückkehr in die Bundesliga geschafft haben, trennen sie in fast jeder anderen Hinsicht Welten. Genau diese Gegensätze machen das Hamburger Derby zu einem so faszinierenden und bemerkenswerten Ereignis, das die Stadt in Atem hält.
In den frühen Jahren der Vereine existierte die Rivalität in ihrer heutigen Intensität noch kaum. Gewiss, jeder wollte den anderen besiegen, doch seit der Gründung des Hamburger SV im Jahr 1919 aus dem Zusammenschluss dreier anderer Clubs, war der HSV die dominierende Kraft in der Region. Vor der Gründung der Bundesliga im Jahr 1963, deren Gründungsmitglied der HSV war, gab es mehr Saisons, in denen der HSV seine jeweilige Liga – ob Stadt- oder spätere Regionalliga – gewann, als er nicht gewann. Die Tatsache, dass die ersten sieben Begegnungen mit dem FC St. Pauli, der 1924 offiziell nach der Trennung vom Turnverein Hamburg-St. Pauli gegründet wurde, alle in einer Stadtliga von acht Teams stattfanden, bedeutete, dass alle Spiele lokale Derbys waren. Angesichts der Tatsache, dass der HSV die ersten sieben Begegnungen mit einem Gesamtergebnis von 43:6 Toren für sich entschied, gab es kaum eine sportliche Rivalität im eigentlichen Sinne.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten die Rothosen ihre Dominanz in ihrer Liga fort. Doch St. Pauli hatte sich zu einem ernstzunehmenden sportlichen Herausforderer entwickelt und gewann in der Saison 1946/47 tatsächlich die Stadtliga vor dem HSV, mit einer Mannschaft, die heute oft als „Wunderelf“ bezeichnet wird. Sie blieben die engsten Rivalen auf dem Spielfeld, doch der HSV erwies sich in der Oberliga Nord als nahezu unschlagbar und beendete jede Saison von 1947 bis zu seinem Aufstieg in die neu gegründete bundesweite Bundesliga im Jahr 1963 als Meister, mit Ausnahme einer einzigen Spielzeit.
In den Jahren vor diesem Schritt hatte der HSV auch seine dritte deutsche Meisterschaft gewonnen, erreichte in seiner ersten Teilnahme 1960/61 das Halbfinale des Europapokals der Landesmeister – wo sie erst in einem Entscheidungsspiel gegen Barcelona ausschieden – und gewann erstmals den DFB-Pokal. Der große Uwe Seeler erzielte in acht Jahren durchschnittlich 34 Tore pro Saison. Der Erfolg des HSV hatte jedoch zur Folge, dass St. Pauli nicht in der neuen Bundesliga spielen konnte, da nur ein Verein pro Stadt zugelassen war, unabhängig von der eigenen sportlichen Leistung.
St. Pauli verblieb daher von seiner Gründung im Jahr 1963 bis zu seiner Umwandlung in die 2. Bundesliga im Jahr 1974 in der zweitklassigen Regionalliga Nord. Sie führten die Tabelle in vier Spielzeiten an, schafften aber über das damalige Play-off-System nicht den Sprung in die Bundesliga. Das bedeutete, dass es zwischen 1963 und St. Paulis erstem Aufstieg in die höchste Spielklasse im Jahr 1977 nur zwei Derby-Begegnungen gab. Diese fanden in der Gruppenphase des ersten DFB-Ligapokals 1972/73 statt. Der HSV gewann im Millerntor mit 4:1, bevor das Rückspiel in einem torlosen Remis endete, auf dem Weg zum Gewinn des Wettbewerbs.
Die lange erwartete Ankunft von St. Pauli in der Bundesliga im Jahr 1977 bedeutete endlich ein Derby in der höchsten Spielklasse. Und tatsächlich gewann der Aufsteiger auswärts mit 2:0 und feierte damit den ersten Sieg über den HSV seit mehr als 17 Jahren. Das Rückrundenspiel wurde ebenfalls im Volksparkstadion ausgetragen, wobei der HSV als nominelles Auswärtsteam mit 3:2 gewann.
St. Pauli hatte bereits vor dem Aufstieg in die Bundesliga mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, und ihr Aufenthalt dauerte nur ein Jahr, da sie als Tabellenletzter wieder abstiegen. Eine zweite direkte Abstiegs in die dritte Liga folgte aufgrund dieser finanziellen Probleme, obwohl sie in der Liga den sechsten Platz belegten – in dem Jahr, in dem der HSV seine erste Bundesliga-Meisterschaft mit einer Mannschaft gewann, zu der Rudi Kargus, Manfred Kaltz, Jimmy Hartwig, Felix Magath, Horst Hrubesch und Ballon d’Or-Gewinner Kevin Keegan gehörten.
Während Hamburg zu einer der dominierenden Mannschaften in Deutschland und Europa avancierte – in sieben Jahren zwischen den späten 70er und frühen 80er Jahren vier kontinentale Endspiele erreichte und sogar 1982/83 den Europapokal der Landesmeister gewann – befand sich St. Pauli noch in der Wildnis und pendelte zwischen der zweiten und dritten Liga. Sogar ihr damaliger Torwart, Volker Ippig, beschrieb die Beziehung zwischen St. Pauli und dem HSV zu Beginn der 80er Jahre als „normal“, und die Mannschaften trugen Freundschaftsspiele gegeneinander aus. Die großen Erfolge des HSV, darunter der Gewinn des Europapokals der Landesmeister, unterstreichen die historische Dominanz. atletico madrid champions league ist heute ein Begriff, der die höchsten europäischen Vereinswettbewerbe repräsentiert, auch wenn der Fokus hier auf dem Hamburger Derby liegt.
Es dauerte nicht viel länger, bis sich die Stimmung in Hamburg zu ändern begann. Die Fußballterrassen in Deutschland wurden in den 1980er Jahren zu eher ungemütlichen Orten, wobei Rechtsextremismus unter den Hardcore-Ultra-Fangruppen weit verbreitet war – und der HSV bildete da keine Ausnahme. Menschen begannen daher, anderswo nach Alternativen zu suchen. In Hamburg führte sie das ins Millerntor im Stadtteil St. Pauli.
Der Verein wurde zu einem Zufluchtsort für linke und alternative Anhänger, wobei ein Fan namens „Doc Mabuse“ eine Totenkopf- und Knochenflagge zu den Spielen mitbrachte, die schnell zum Synonym für St. Pauli wurde. Einst von Piraten gezeigt, positionierten sich die Fans des Clubs aus der Hafenstadt als Außenseiter, die gegen die Reichen und Mächtigen antraten. Im Gegensatz zu anderen Vereinen äußerten sich Fangruppen auch zu politischen Überzeugungen. Es gab aktive Interventionen gegen sexistischen oder rassistischen Missbrauch im Stadion, wobei St. Pauli der erste Verein war, der Verbote für solche Handlungen in seine Stadionordnung aufnahm. Christoph Nagel, der Kurator des St. Pauli Museums, bezeichnete den Ansatz des Vereins, inklusiv, anders und anti-establishment sein zu wollen, seine Haltung zur Integration und zur Bekämpfung von Hass und Diskriminierung als ein „ziemlich ungewöhnliches Erfolgsrezept“, das St. Paulis Ruf in Deutschland und der ganzen Welt gestärkt hat, obwohl es ihm an sportlichem Erfolg mangelt.
Die deutsche Fußballszene hat sich seit den 80er Jahren offensichtlich stark verändert, und selbst St. Pauli-Anhänger würden nicht behaupten, dass der HSV ein rechter Verein ist. Das Hamburger Derby ist in der Tat keine politische Schlacht. Wie ein St. Pauli-Fan 2018 gegenüber der DW erklärte: „Es ist eher ein Kampf der Visionen, wie Fußball geführt werden sollte.“ In dieser Hinsicht ähnelt es der Rivalität, die man heute in der deutschen Hauptstadt sieht, wo der „Big-City-Club“ Hertha im alten West-Berlin, der sich als Mannschaft für die ganze Stadt betrachtet, von Union aus dem Stadtteil Köpenick in Ost-Berlin herausgefordert wird. Auch dort gibt es soziale Unterschiede, die hinter den Differenzen stecken.
Das zweite Stadtderby kehrte 1988 in den Fußballkalender zurück, als die Kiezkicker – wörtlich „Viertelfußballer“ – wieder in die Bundesliga aufstiegen. Die von den Fans gepflegte Klassenunterschiede setzten sich jedoch auch auf dem Spielfeld fort, da der HSV in allen zwölf Spielen über sechs Spielzeiten bis 2002 ungeschlagen blieb. Der Schlachtruf der Rothosen „Sechsmal Deutscher Meister, viermal Pokalsieger, immer erste Liga, HSV!“ befeuerte lediglich die Flammen der Überlegenheit und der sportlichen Rivalität auf dem Platz. Ein denkwürdiger Moment war Rüdiger Wenzels Tor für St. Pauli gegen den HSV in der Saison 1989/90, das zu einem der besten Tore in den ersten 50 Jahren der Bundesliga gewählt wurde.
Rüdiger Wenzels legendäres Tor für St. Pauli gegen den HSV in der Saison 1989/90, ein wahrer Derby-Klassiker.
St. Pauli erlitt erneut zwei Abstiege in Folge, da finanzielle Probleme erneut auftraten. Gelder wurden durch den Verkauf von über 100.000 T-Shirts, die Akademie, Spenden, Konzerte im Millerntor und ein Benefizspiel gegen Bayern München gesammelt. All dies funktionierte, und sie kehrten 2010 in die Bundesliga zurück.
Die Saison 2010/11 war das erste Mal seit den 60er Jahren, dass St. Pauli den HSV im Millerntor empfing, wobei Derby-Spiele zuvor alle im viel größeren Volksparkstadion ausgetragen worden waren. Das Spiel vor fast 24.000 Zuschauern endete 1:1, bevor im Rückspiel quer durch die Stadt Gerald Asamoah das einzige Tor erzielte, womit St. Pauli den ersten Sieg über den HSV seit 1977 errang und den zeremoniellen Titel des „Hamburger Meisters“ gewann. „Fans danken mir noch heute. Ich werde überall danach gefragt“, sagte Asamoah Jahre nach seinem berühmten Tor. „Man merkt wirklich, welche Bedeutung das Spiel hat.“
Letztendlich war es nur ein Trost, da St. Pauli wieder abstieg und das zweite Stadtderby für weitere sieben Jahre von den Kalendern verschwand. Diesmal wurde es jedoch in der 2. Bundesliga wieder aufgenommen, nachdem der HSV seinen Status als einziger ewiger Bundesligist mit dem Abstieg verloren hatte.
Mittlerweile hatte sich St. Pauli komfortabel in der zweiten Liga etabliert und freute sich, den HSV auf ihr Niveau begrüßen zu dürfen. Das erste Treffen im Volksparkstadion war natürlich ausverkauft, wobei St. Paulis 5.500 Tickets angeblich in fünf Minuten vergriffen waren. Das erste Hamburger Derby in der 2. Bundesliga endete torlos – wenn auch nicht ohne einen 92. Minute-Lupfer von St. Paulis Cenk Sahin, der von einem rückwärtslaufenden Julian Pollersbeck über die Latte gelenkt wurde. Das Rückspiel war jedoch weitaus weniger angespannt, als der HSV im Millerntor vier Tore ohne Gegentreffer erzielte und damit den ersten Sieg dort seit 1962 errang.
St. Pauli-Fans im Volksparkstadion hatten Anfang des Jahres „Wir sind die Nummer 1 der Stadt!“ gesungen – und tatsächlich hatten sie in der Saison 2019/20 einen sehr guten Anspruch darauf, als sie mit 2:0-Siegen zu Hause (ihrem ersten seit 1959/60) und auswärts den HSV zum ersten Mal seit 1953/54 in beiden Spielen besiegten.
Die Saison 2020/21 brachte ein 2:2-Unentschieden und einen 1:0-Heimsieg für St. Pauli, der die Kräfteverhältnisse im drittgrößten Hafen Europas zu verschieben begann. St. Pauli holte sich dann auch die Beute im ersten Aufeinandertreffen der beiden in der Saison 2021/22 und gewann am 3. Spieltag ein hochinteressantes 3:2.
Der HSV revanchierte sich auf eigenem Terrain und gewann nach einem Rückstand mit 2:1 – erst der zweite Sieg in den letzten zehn Begegnungen und auch erst das zweite Mal, dass sie seit Dezember 2001 ein Derbytor zu Hause erzielt hatten.
Highlights von St. Paulis überzeugendem 3:0-Sieg gegen den HSV in der Saison 2022/23.
St. Paulis 3:0-Sieg in der ersten Hälfte der Saison 2022/23 bedeutete, dass sie fünf der letzten sieben Derbys gewonnen hatten (1 Unentschieden, 1 Niederlage). Der HSV revanchierte sich mit einem aufregenden 4:3-Sieg auf eigenem Rasen, zu einer Zeit, als beide Teams um den Aufstieg kämpften. Letztendlich schaffte es keiner von ihnen zurück in die höchste Spielklasse. Hamburgs fünf Niederlagen in insgesamt zwölf Begegnungen in der 2. Bundesliga bedeuten, dass kein anderer Verein sie auf diesem Niveau öfter geschlagen hat als ihre Stadtrivalen.
Spannende Szenen, als Hamburg in der Saison 2023/24 nach einem bemerkenswerten Eigentor noch ein Unentschieden erkämpfte.
Die Rothosen führen immer noch den direkten Vergleich mit beträchtlichem Vorsprung an, aber dieses Stadtderby hat inzwischen sowohl auf als auch neben dem Spielfeld eine besondere Schärfe entwickelt. HSV-Fans werden sagen, ihre größte Rivalität sei schon immer die gegen Werder Bremen im Nordderby gewesen, doch sie laufen Gefahr, in ihrem eigenen Hinterhof ins Hintertreffen zu geraten. St. Pauli wiederum hat sich nie darum geschert, den Status quo zu stören. Der Verein, der sich auf einen Stadtteil Hamburgs konzentriert, hat sich erneut gegen die Großen der Stadt durchgesetzt und 2022 die Verteidigung seiner Stadtmeisterschaft gefeiert.
Das Hamburger Derby schwelte lange Zeit im Hintergrund und entging aufgrund fehlender Fans in den Stadien in den letzten Jahren dem Rampenlicht. Nun ist es wieder in der obersten Liga angekommen, nachdem der HSV seine siebenjährige Abwesenheit aus der Bundesliga beendete und zu St. Pauli an Deutschlands erstem Fußballtisch zurückkehrte.
Machen Sie sich bereit für ein lebhaftes Spektakel in Deutschlands zweitgrößter Stadt, wenn der Derbynachmittag im Volksparkstadion an diesem Freitag zurückkehrt. Es ist ein Spiel, das die ganze Stadt spaltet und doch auf einzigartige Weise verbindet – ein wahres Fest der Hamburger Fußballkultur.
Über die Vereine:
- Hamburger SV
- Volksparkstadion
- FC St. Pauli
- Millerntor-Stadion
