Brombeermarmelade: Eine kulinarische Zeitreise durch deutsche Küchen und Sprachgeschichte

Frische Brombeeren entlang einer Bahntrasse in Deutschland, bereit zur Ernte für Brombeermarmelade.

Die Brombeersaison ist für viele ein Höhepunkt des Jahres, und ich persönlich schätze mich glücklich, in einer Region Deutschlands zu leben, die, mag sie auch sonst an Obst und Gemüse sparen, doch mit reichen Beerenerträgen gesegnet ist. Gestern beschloss ich, statt auf dem Flohmarkt die Brombeerstellen in meiner Nachbarschaft zu erkunden. Normalerweise ist Anfang August noch nicht die optimale Zeit, aber dieses Jahr führte die Kombination aus heißen Tagen im Juni und einer langen Regenperiode im Juli zu einer frühen Ernte. Nach zwei Stunden Radfahren entlang von Waldwegen und Bahndämmen kehrte ich mit überraschenden drei Kilo Früchten zurück. Diese wurden umgehend zu Marmelade verarbeitet.

Frische Brombeeren entlang einer Bahntrasse in Deutschland, bereit zur Ernte für Brombeermarmelade.Frische Brombeeren entlang einer Bahntrasse in Deutschland, bereit zur Ernte für Brombeermarmelade.

Bereits in einem früheren Beitrag habe ich erklärt, warum Brombeeren so häufig entlang von Bahngleisen vorkommen, und ich kann meinen dortigen Rat an alle Damen nur bekräftigen: Wenn Sie einen potenziellen Verehrer haben, gehen Sie gemeinsam Brombeeren pflücken. Es gibt nur wenige bessere Tests für Geschicklichkeit, zärtliche Berührung, Geduld und Toleranz. Heute möchte ich mich der Geschichte des Lieblingsfrühstücks meines Sohnes widmen: der Brombeermarmelade.

Die sprachliche Verwirrung: Marmelade vs. Konfitüre

Zuerst müssen wir uns einem sprachlichen Problem stellen. Obst durch Kochen zu konservieren, ist höchstwahrscheinlich eine uralte Idee, doch das Konzept der Marmelade als Kategorie ist grundlegend modern. Technisch gesehen existiert der Begriff, zumindest für Fruchtaufstriche aus Nicht-Zitrusfrüchten, seit 1982 gar nicht mehr. Die Verkehrsbezeichnung hierfür lautet Konfitüre. Das Wort Marmelade, das ursprünglich eine Quittenzubereitung bezeichnete, darf seither nur noch für Zitrusmarmelade verwendet werden. Die meisten Deutschen kümmern sich darum nicht. Nur sehr wenige Menschen hierzulande essen Orangen- oder Zitronenmarmelade, und jeder nennt seine Fruchtaufstriche weiterhin beim alten Namen.

Dabei ist der Name selbst nicht sehr alt und bezog sich in seiner wechselvollen Geschichte auf eine Vielzahl von Dingen. Die Herkunft dessen, was wir heute als Brombeermarmelade kennen, ist derweil mit anderen Begriffen verbunden. Die frühesten gekochten Konserven sind einfach als Mus bekannt, ein Oberbegriff für weiche, löffelbare Speisen, oder Latwerge, abgeleitet vom Begriff Electuarium für eine medizinische Zubereitung, die mit Zucker oder Honig hergestellt und gelöffelt oder geleckt wurde.

Von Mus und Latwerge: Die Anfänge der Fruchterhaltung

Brombeeren sind im frühen Rezeptkorpus relativ selten, kommen aber dennoch vor. Das Innsbrucker MS erwähnt sie in Fruchtpürees, führt dies aber nicht näher aus. Sie werden auch in Fruchtweinen verwendet und, zumindest ab dem 16. Jahrhundert, zum Färben und Aromatisieren von Weinen. Das früheste mir bekannte Rezept für deren gekochte Konservierung findet sich im Mittelniederdeutschen Kochbuch:

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15 Wolt du eyn gůt b[r]omen mues machen. so lat sy so lesen alß du sy nůttest. stösse sy yn eynem m[örser]. stryke sy d[urch] eyn tůch. sette sy by d[as] fůy[er] v[nd] lat sy sieden. nym eyn gůt reynes wey[t]zen mehl. gloyge es d[er]maßen dat es nicht eynsmecke na brande. d[oe] es d[a]r yn v[nd] lat es sieden. nym honich v[nd] gewůrtze. d[oe] es d[a]r t[oe] v[nd] lat es sieden dat es syn dickheyt habe. d[a]r t[oe] es gůt.

Wir sind hier noch ein gutes Stück vom modernen Produkt entfernt. Das Andicken mit Mehl ist heute nicht akzeptabel, und wir haben keine genauen Informationen über die angestrebte Süße und Konsistenz. Möglicherweise war das Endprodukt recht dick, ähnlich anderen etwa gleichzeitig entstandenen Fruchtaufstrichen. Doch wir erkennen eine ziemlich klare Abstammungslinie.

Die Ära des Gelees: Marmelade im 17. Jahrhundert

Der Begriff Marmelade taucht im deutschen Sprachgebrauch im 17. Jahrhundert auf und wird schnell übernommen, beschreibt aber zunächst Fruchtsäfte, die mit Zucker gekocht wurden – etwas, das wir heute als Gelee bezeichnen würden. Das Brandenburgische Kochbuch von 1723 (das selbst eine Raubkopie der Wohl-unterwiesenen Köchin von Maria Sophia Schellhammer ist) beschreibt den Vorgang flüchtig, aber klar:

Marmelade von Berberitzen, Johannisbeeren, Maulbeeren und dergleichen zuzubereiten

Man presset diese Früchte aus, und läßt den Saft kochen, biß er anfangen will dick zu werden. Dann thut man so viel Zucker, als Saft ist, dazu, und läßt es kochen, biß es dick genug ist, und gehet damit zu Werke wie mit den andern. Doch wird solches nicht zu Schachtel=Marmeladen gebraucht.

Dies ist eines von 19 Rezepten für Marmelade, von denen fast die Hälfte für Quittenzubereitungen bestimmt ist. Die Schachtel=Marmelade bezieht sich auf eine Art der Verpackung dieser Gelees in Holzkästchen, wie es traditionelles Cotignac manchmal noch ist. Die Kästchen wurden vor dem Befüllen angefeuchtet, um das Entnehmen zu erleichtern, und der Inhalt in Scheiben serviert, sodass wir uns diese Marmelade als recht fest vorstellen können, ähnlich wie Dulce de membrillo. Es ist gut möglich, dass Beerensaft diesen Härtegrad einfach nicht erreichte. Wahrscheinlich ist die Quitten-Latwerge aus dem 16. Jahrhundert, die ich für das Landsknecht Cookbook neu bearbeitet habe, bereits sehr ähnlich, obwohl sie einen anderen Namen trägt. Interessanterweise findet sich dieses Rezept, das aus dem späten 17. Jahrhundert stammt, fast wortwörtlich noch im Hamburgischen Koch=Buch in dessen Ausgabe von 1830. Zu diesem Zeitpunkt muss die Gewohnheit, Marmelade auf Kuchen oder Brot zu streichen, eine andere Konsistenz erfordert haben.

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Moderne Konservierung: Weckgläser und Gelierzucker

Die moderne Brombeermarmelade verdankt ihre Eigenschaften der weiten Verbreitung von Gläsern mit Vakuumverschluss. In Deutschland ist der Marktführer weiterhin Weck, das Unternehmen, das die Technologie 1901 einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machte. Das Wort „einwecken“ für das häusliche Konservieren ist bis heute weit verbreitet. Die neue Ausrüstung erforderte Anleitungen, und einer der vielen Leitfäden zur Technik war Josef Löschnigs Das Einkochen des Obstes im Bürgerlichen Haushalt. Die Ausgabe von 1916 beschreibt die Herstellung von Brombeerenmarmelade:

Die Brombeeren ergeben allein oder im Gemisch mit anderen Beeren eine sehr feine Marmelade. Überhaupt erweisen sich die Beeren als nützlich in Mischungen, um Marmelade zu erzeugen. Es empfiehlt sich, selbst die sonst weniger geeigneten Stachelbeeren mitzuverwerten.

Dies ist kein vollständiges Rezept, aber der Prozess wird in früheren Einträgen detaillierter beschrieben: Die Früchte werden gedämpft oder gekocht, durch ein Sieb passiert und mit Zucker eingekocht. Das Rezept für Aprikosen beschreibt es gut:

Das passierte Fruchtmus wird in emaillierten oder irdenen, flachen Kochgefäßen über das Feuer gebracht und mit einem nur für diesen Zweck verwendeten Löffel fortgesetzt gerührt. In größeren Gefäßen geschieht das Rühren am wirksamsten in Form der Ziffer 8. Sobald das Mus genügend fest ist, was in der Praxis leicht zu beurteilen ist, wird der Zucker in Pulverform oder kleinen Stücken hinzugefügt. Es ist zu beachten, dass die Marmelade nach Zugabe, Verteilung und Auflösung des Zuckers einmal gut aufkochen muss. Auf ein Kilogramm Fruchtmus werden 60 Dekagramm (600 Gramm) Zucker verwendet. Die Verdickung muss so schnell wie möglich über lebhaftem Feuer erfolgen, damit das Ergebnis hellfarbig bleibt. Es empfiehlt sich auch, den Zucker separat aufzulösen und heiß in das Fruchtmus zu gießen. Das Würzen der Aprikosenmarmelade wird nicht empfohlen. Die fertige Marmelade muss warm in die Behälter gefüllt und diese sofort verschlossen werden.

Interessanterweise unterscheidet das Buch zwischen Marmelade, die aus passiertem Fruchtmus hergestellt wird, und Jam (es verwendet das englische Wort im deutschen Text), die Fruchtstücke enthält. In neuerer Zeit waren Fruchtstücke in Marmelade üblich, und erst in letzter Zeit sind passierte Fruchtaufstriche als Marketinggag wieder weit verbreitet. Interessanterweise unterscheidet Das elektrische Kochen von 1938, ein Rezeptbuch, das moderne elektrische Kochgeräte im Auftrag der Berliner Versorgungsgesellschaft BEW bewirbt, zwischen Marmelade aus passiertem Obst und Konfitüre, die Stücke enthält. Diese Tradition hielt lange an.

Einfacher und effektiver: Brombeermarmelade im 20. Jahrhundert

Es ist interessant festzustellen, dass mit zunehmender Vertrautheit mit dem Sterilisationsprozess die Rezepte einfacher werden. Das zu Unrecht unterschätzte Kochbuch der Büchergilde von Grete Willinsky, erstmals 1958 veröffentlicht, besagt:

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Brombeerkonfitüre

2 Pfund reife Brombeeren, 2 Pfund Zucker

Brombeer-Konfitüre wird wie Himbeer-Konfitüre bereitet. Man kann sie bis zu einem Drittel mit mitgekochten Apfelscheiben strecken, ohne weiteren Zucker zuzugeben.

Das zitierte Rezept für Himbeeren lautet:

Himbeerkonfitüre

besonders aromatisch, wenn sie aus Waldhimbeeren bereitet wird

2 Pfund Himbeeren, 2 Pfund Zucker

Die sorgfältig ausgelesenen Himbeeren, womöglich ungewaschen, aber vorsichtig von allen Würmern gereinigt, werden mit dem Zucker auf den Herd gesetzt und auf schwacher Hitze langsam zum Kochen gebracht, regelmäßig den Topf schüttelnd und kippend. Sie werden abgeschäumt und kochen ohne Umrühren weiter, bis der Saft anzudicken beginnt. Gelierprobe! Die Konfitüre mit einem Silberlöffel in angewärmte Gläser füllen und am nächsten Tage mit Cellophanpapier verschließen.

Mehrere Gläser selbstgemachte Brombeermarmelade, frisch zubereitet nach traditionellen und modernen deutschen Rezepten.Mehrere Gläser selbstgemachte Brombeermarmelade, frisch zubereitet nach traditionellen und modernen deutschen Rezepten.

Ich zweifle nicht daran, dass dieses Rezept funktioniert, aber ich persönlich bevorzuge einen höheren Fruchtanteil im Vergleich zum Zucker. Als überzeugter kulinarischer Modernist ist mein bevorzugtes Produkt Gelierzucker, Zucker mit zugefügtem Pektin, das bei einem Verhältnis von 2:1 eine feste Marmelade ergibt. Dieser Prozess lieferte mir 4,5 Kilogramm Brombeermarmelade aus 3 Kilogramm Früchten, die hoffentlich bis zum Sommer 2024 reichen werden. Sollte es mir gelingen, mehr zu sammeln, werde ich sicherlich einige historische Methoden ausprobieren.

Fazit und Ausblick

Die Geschichte der Brombeermarmelade ist eine faszinierende Reise durch Sprachgeschichte, kulinarische Innovation und die Entwicklung von Konservierungstechniken in Deutschland. Von einfachen Mus-Zubereitungen über feste Schachtel-Marmeladen bis hin zur modernen Konfitüre mit Gelierzucker zeigt sich, wie tief die Wertschätzung für diesen fruchtigen Brotaufstrich in der deutschen Esskultur verwurzelt ist. Trotz der gesetzlichen Unterscheidung zwischen Marmelade und Konfitüre bleibt die liebevolle Bezeichnung „Marmelade“ für die meisten Deutschen die erste Wahl, wenn es um den süßen Genuss aus dem Glas geht.

Wir bei Shock Naue sind stets bestrebt, Ihnen nicht nur Rezepte, sondern auch die spannenden Geschichten dahinter zu präsentieren. Welche traditionellen deutschen Fruchtaufstriche begeistern Sie am meisten? Teilen Sie Ihre Lieblingsrezepte oder Kindheitserinnerungen an selbstgemachte Brombeermarmelade in den Kommentaren!

Quellen