Die deutsche Esskultur, reich an herzhaften Traditionen und regionalen Spezialitäten, erlebt immer wieder neue Impulse durch aufstrebende Trends. Einer dieser Trends, der sich auch im deutschsprachigen Raum immer größerer Beliebtheit erfreut, ist das Birkensaft Trinken. Was in Finnland und Osteuropa eine jahrhundertealte Tradition ist, hat seinen Weg nun auch in die Drogeriemärkte und Wälder der Schweiz und Deutschlands gefunden. Doch während Foodblogger und Influencer die gesundheitlichen Vorteile preisen und das Naturerlebnis betonen, werfen Waldexperten kritische Fragen auf: Ist das Zapfen von Birkensaft wirklich so unbedenklich, wie es scheint, oder birgt es ernsthafte Risiken für die Bäume?
Dieser Artikel beleuchtet die Faszination hinter dem Birkenwasser, seine vermeintlichen Wirkungen und die ökologischen Bedenken, die mit seiner Gewinnung einhergehen. Wir tauchen ein in die Welt eines Getränks, das zwischen altem Brauchtum und modernem Gesundheitshype oszilliert.
Von alten Sagen zum modernen Superfood
Die Geschichte des Birkensafts ist tief in den nordischen Kulturen verwurzelt. Schon die Wikinger sollen Mahla, wie die Finnen dieses Birkenwasser nennen, getrunken haben. Es ist eine Frühlingsgabe der Natur: Jedes Jahr ziehen Finnen in die Wälder, um diesen kostbaren Saft ihres Nationalbaums zu zapfen, bevor Knospen und Blätter austreiben und der Saftstrom versiegt.
Junge Birken im Frühling, kurz bevor die Blätter austreiben, ideal für die Birkensaftgewinnung als traditionelles Naturgetränk.
Heute hat der Birkensaft den Sprung in die modernen Regale geschafft. In vielen Drogerien sind Birkensäfte, ja sogar Birkenwein, erhältlich. Für die Liebhaber dieses Naturgetränks steht dabei weniger der kulinarische Hochgenuss im Vordergrund. Vielmehr geht es um das Versprechen, das seit Monaten durch die sozialen Medien geistert: Birkensaft soll erfrischend sein, eine Art natürliches „Red Bull aus dem Wald“, und dabei supergesund. Es wird behauptet, der Saft helfe gegen Gicht und Rheuma, Schuppen und sogar Cellulite – Heilsversprechen, die den Hype um das Birkensaft trinken befeuern.
Birkensaft selbst zapfen: Ein Naturerlebnis mit Folgen?
Ein wesentlicher Reiz des Birkensafts liegt in der Möglichkeit, ihn selbst im Wald zu gewinnen – im Gegensatz etwa zum exotischeren Kokoswasser. Gartenprofi Markus Kobelt aus Buchs demonstriert in seinen YouTube-Videos, wie einfach das geht. Mit einem Akkubohrer bewaffnet, bohrt er ein fünf Zentimeter tiefes, leicht aufwärts gerichtetes Loch in den Stamm einer Birke, installiert ein Röhrchen und fängt den Saft auf. Kaum angesetzt, fließt das Wasser schon. „Die Kraft des Baumes fließt aus dieser Quelle“, erklärt Kobelt in seinem Video und äußert die Überzeugung, dass es „vitalisierend ist und gesund“. Für Allergiker mag der Anblick blühender Birken im Frühling eine Qual sein, doch Kobelt betont das in den Bäumen schlummernde Gute.
Die kritische Sicht: Baumfrevel und Infektionsgefahr
Markus Kobelt zerstreut Bedenken hinsichtlich möglicher Schäden an den Bäumen: „Eine solche Pflanze produziert eine riesige Menge von Wasser“, argumentiert er. „Die ein, zwei Liter, die man ihr wegnehme, würden der Pflanze rein gar nichts machen.“ Aus rein mengenmäßiger Sicht scheint das Zapfen tatsächlich kein primäres Problem zu sein, solange nicht mehr Saft entnommen wird, als der Baum auf natürliche Weise regenerieren kann, wie der Waldökologe Harald Bugmann von der ETH Zürich bestätigt.
Doch der Forscher hat dennoch Bedenken. Bäume gehören dem Waldeigentümer und dürfen nicht beschädigt oder in ihrem Wert gemindert werden. Hier liegt laut Bugmann das eigentliche Problem: Wer Birkensaft zapft, beeinträchtigt die Holzqualität und kann unter Umständen den gesamten Baum schädigen.
Sein Kollege Siegfried Fink, Forstbotaniker an der Universität Freiburg im Breisgau, geht noch weiter. Er bezeichnet solche Eingriffe mit Akkubohrern als „bodenlose Unverschämtheit“ und als definitiven „Baumfrevel“, schlimmer als das Ritzen von Herzchen in die Rinde. „Die Birken können Sie hinterher vergessen“, warnt er.
Die unsichtbare Gefahr: Pilzinfektionen
Die größte Gefahr für den Baum sehen die Experten in der hohen Infektionsgefahr. Durch die Verletzung des Baumes können Pilzsporen eindringen. Das Xylem, das Wasser, Zucker und Mineralstoffe von den Wurzeln zu den Blättern transportiert, wird dabei verletzt. Wenn der Saft unkontrolliert austritt – von Baumphysiologen als Blutungssaft bezeichnet – bleibt die Wunde tagelang offen. „Besonders gefährdet sind Bäume, die mehrfach angezapft werden und ohnehin nicht sehr vital sind“, erklärt Harald Bugmann. Schädlinge wie der Birkenporling haben in einem verletzten Stamm leichtes Spiel. Hat sich der Pilz erst einmal ausgebreitet, stirbt die Birke einen langen, qualvollen Tod: Das Holz fault, wird morsch, und am Ende erledigen Sturm oder Kettensäge den Rest.
Birkensaft im Vergleich: Zuckergehalt und medizinische Fakten
Der Zuckergehalt im Birkensaft ist mit maximal einem Prozent deutlich geringer als beispielsweise im Ahornsaft. Dies hielt die Germanen jedoch nicht davon ab, Birkensaft zu vergären. Kulinarisch gesehen sind weder Birkenwasser noch Birkenwein oder andere vergorene Baumsäfte ein Hochgenuss.
Was die gesundheitlichen Wirkungen betrifft, sind laut dem Pharmakologen Alexander Vögtli, Betreiber des Medikamentenlexikons Pharmawiki.ch, keine großen Effekte zu erwarten, wenn man Birkensaft trinken möchte. Für die Gesundheit rät Vögtli eher zu Birkentee aus den Blättern als zu Birkenwasser. Die harntreibende Wirkung der Blätter ist gut dokumentiert und eignet sich zur Behandlung unkomplizierter Blasenentzündungen. Lediglich Allergiker sollten hier vorsichtig sein. Birkenwasser hingegen kann jeder bedenkenlos trinken. Doch wie Vögtli trocken bemerkt: Dann tut es auch einfach Hahnenwasser.
Fazit: Birkensaft trinken – ein bewusster Genuss oder lieber verzichten?
Das Birkensaft trinken ist eine Praxis, die zwischen romantischer Naturverbundenheit und ökologischer Verantwortung schwankt. Während der Wunsch nach natürlichen Produkten und einem gesunden Lebensstil verständlich ist, dürfen die potenziellen Schäden für unsere Wälder nicht ignoriert werden. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zeigen, dass die gesundheitlichen Vorteile von Birkensaft oft überschätzt werden und das Anzapfen der Bäume Risiken für deren Gesundheit birgt.
Angesichts dieser Informationen lässt sich ein vernünftiges Fazit ziehen: Am besten lässt man die Bäume in Ruhe. Wer dennoch nicht auf den Birkensaft verzichten möchte, sollte zumindest nur Bäume anzapfen, die ohnehin bald gefällt werden sollen. Die Wertschätzung für die Natur zeigt sich letztlich auch darin, ihre Ressourcen nachhaltig und respektvoll zu behandeln.
Was sind Ihre Erfahrungen mit Birkensaft oder anderen Naturgetränken? Teilen Sie Ihre Gedanken und Lieblingsrezepte in den Kommentaren!
Quellenhinweise
- Harald Bugmann, Waldökologe, ETH Zürich
- Siegfried Fink, Forstbotaniker, Universität Freiburg im Breisgau
- Alexander Vögtli, Pharmakologe, Pharmawiki.ch
- Markus Kobelt, Gartenprofi, Buchs (Referenz auf YouTube-Videos)
