Die Verborgene Vielfalt: Warum die Biodiversität in Städten überraschend hoch ist

Wilde Natur neben Treppen im Mauerpark in Berlin

Städte, oft als Betongefängnisse der Natur verkannt, sind in Wahrheit lebendige Ökosysteme, die eine erstaunliche Biodiversität in Städten beherbergen. Das Zusammenleben zwischen Menschen und gefiederten Stadtbewohnern funktioniert meist hervorragend: Ornithologen und Naturfreunde registrieren Vogelarten und ihre Bestände beim morgendlichen Konzert in Stadtparks, zählen Wintervögel an Futterstellen oder beteiligen sich an tiefergehenden Forschungen, etwa zu Wanderfalken oder Eulen. Auch Wasservögel auf städtischen Gewässern werden seit vielen Jahren erfasst. Bürgerinitiativen treten zunehmend dem Ansinnen entgegen, Wassergeflügel durch Abschüsse zu „dezimieren“. Die freilebenden Vögel der Stadt werden zu Recht als Allgemeingut betrachtet, über das einzelne Interessenträger nicht allein verfügen dürfen.

Ein wachsendes Bewusstsein für die Stadtnatur

Dieses wachsende Bewusstsein dehnt sich immer mehr auf Säugetiere aus. Nicht nur Eichhörnchen werden beobachtet und gefüttert, sondern auch Biber an Stadtgewässern, Waschbären in Hinterhöfen, Füchse im Garten und Igel im Allgemeinen – auch wenn diese stacheligen Gesellen keine Streicheltiere sind. Ein deutlicher Trend zur Schmetterlings- und Wildbienenfreundlichkeit in Gärten ist erkennbar. Baumschutz ist längst eine Selbstverständlichkeit. Es wird zunehmend akzeptiert, dass nicht alle Grünflächen ständig wie Golfrasen gemäht werden müssen oder ausschließlich als Liegewiesen dienen. Die Möglichkeit, Blühwiesen entstehen zu lassen, spart nicht nur Geld, sondern fördert auch die natürliche Vielfalt. Diese Abkehr von übertriebener Pflege, die früher unter dem Diktat eines „sauberen und gepflegten“ Erscheinungsbildes stand, schafft Raum für mehr Natur. Wenn Sie mehr über die ökologischen Zusammenhänge im urbanen Raum erfahren möchten, finden Sie hier weiterführende Informationen zum Thema biodiversität in der stadt.

Wilde Natur neben Treppen im Mauerpark in BerlinWilde Natur neben Treppen im Mauerpark in Berlin

Doch all dies, so wichtig es auch ist, würde nicht ausreichen, die hohe Biodiversität in Städten umfassend zu erklären. Andere, sehr gewichtige Faktoren spielen eine Rolle. Drei unterschiedliche, globale Bestimmungsfaktoren für Biodiversität sind die Flächengröße, die Strukturiertheit und das Angebot an Nahrung/Nährstoffen. Hinzu kommen zwei weitere: die Wirkungen von Feinden/Störungen und, als Rahmenbedingung, die lokalen/regionalen klimatischen Verhältnisse.

Die Kernfaktoren städtischer Artenvielfalt

Für die Vogelwelt ist festzustellen, dass ihr Artenreichtum mit der Flächengröße der Städte ansteigt. Doch der Flächeneffekt erklärt nur etwa die Hälfte der Artenvielfalt. Die meisten Städte liegen deutlich über dem erwarteten Artenreichtum, der ihnen als mitteleuropäische Durchschnittslandschaft zukäme. Dies liegt an der besonderen Vielfalt an Strukturen, die in Städten existiert. Die Förderung der nachhaltigkeit und umwelt ist ein zentrales Anliegen, um diese städtischen Lebensräume zu erhalten und zu stärken.

Weiterlesen >>  Integrierter Pflanzenschutz: So schonen Sie die Umwelt im Garten

Was genau ist mit „Strukturvielfalt“ (wissenschaftlich: struktureller Diversität) gemeint? Sie umfasst nicht allein die uns geläufigen Hauptbestandteile wie Gebäude, Straßen und Verkehrswege, Gärten und Parks sowie städtische Gewässer, sondern für jede dieser Kategorien zahlreiche Detailstrukturen. So bieten alte Gebäude, besonders solche aus dem Neoklassizismus des späten 19. oder frühen 20. Jahrhunderts, sowie alte Burgen und Befestigungsanlagen viele Nischen, Erker, Vorsprünge oder Winkel. Vögel können dort nisten, Ruheecken und Aussichtsplätze finden, während Fledermäuse dort ihren Tagesrast halten.

Das totale Gegenteil sind moderne, voll verglaste Hochhausquader ohne jegliche Fassadenstruktur. Sie stellen den Nullwert für Strukturdiversität dar. Eigentlich sollten sie auf der Negativseite verbucht werden, da an ihren gläsernen Außenflächen zahllose Vögel zu Tode kommen.

Ein Turmfalke sitzt auf einem HausvorsprungEin Turmfalke sitzt auf einem Hausvorsprung

Von der Gebäudehöhe und ihren Formen hängt ab, wie viel und wie weit sie Schatten werfen und wie sie die Luftströmungen direkt über der Stadt beeinflussen. Jedes hohe Gebäude schafft ein ähnliches Umfeld wie ein hoher Berg oder, zusammen mit anderen Gebäuden unterschiedlicher Höhe, wie ein Gebirge. Daher gehörten Bergvögel zu den Erstbesiedlern der Städte. Doch während einzelne Berge oft schon mehr als die Fläche einer Großstadt einnehmen, umgibt in der Stadt jedes Gebäude eine kleinteilige Vielfalt unterschiedlicher Seiten und Expositionen. Kein natürlicher Lebensraum erreicht in dieser Hinsicht eine vergleichbar hohe Strukturvielfalt. Dies gilt im Grunde auch für das enorm dichte Netzwerk von Straßen und Trassen, die verbinden und trennen – ähnlich wie im Verkehr. Für das ministerium für landwirtschaft und umwelt sind diese Aspekte der Stadtentwicklung von großer Bedeutung, um nachhaltige Lebensräume zu gewährleisten.

Gärten und Parks: Mini-Biotope der Individualität

Die Wohnsiedlungsbereiche treiben auf andere Weise die Strukturvielfalt auf die Spitze. Wir Menschen neigen dazu, mit den Gärten als „unserem Revier“ ein ausgeprägtes Maß an Eigenständigkeit mit einem ebenfalls vorhandenen Hang zur Konformität zu verbinden. Der Garten wird zwar individuell gestaltet, bleibt aber „Garten“, wie im betreffenden Stadtviertel üblich. Abweichungen davon bekräftigen die Regel, denn man missbilligt sie zumeist. Schrebergärten unterliegen aus gleichen Gründen dem Normierungszwang – mit individuellen Noten selbstverständlich, die zugebilligt werden.

Aus Vogelsicht könnten die Stadtgärten der Wohnsiedlungsbereiche als vorgeformte Nist- und Brutreviere erscheinen. Für Amsel & Co. passen sie vielfach. Die Umzäunung, häufig mit ziemlich dichten Hecken, verstärkt den Reviercharakter. Zu dieser Raumstruktur am Boden mit tausendfacher Wiederholung in dennoch nie gleicher Version kommt eine weitere Strukturierung in der Vertikalen hinzu. Von offenem oder kurzrasig gehaltenem Boden über angelegte Beete mit unterschiedlicher Bepflanzung bis zu knie-, brust- oder übermannshohen Hecken entlang der Umzäunung und unterschiedlich hohen Bäumen reicht das Strukturspektrum.

In einer größeren Flächendimension wiederholt sich diese Vielfalt in den Parkanlagen. Diese können, wie der Englische Garten in München, an der Peripherie direkt in Wald übergehen oder eine große Waldinsel bilden, wie der Tiergarten im Zentrum von Berlin. Mit kleinen Gartenteichen beginnt das Größenspektrum der innerstädtischen Gewässer. Es erstreckt sich bis zu größeren Teichen oder richtigen Seen und dem Meer, wenn die Stadt an ihrem Ufer liegt. Entsprechendes gilt wiederum für Fließgewässer, vom kleinen Bach bis zu Städten an Fluss oder Strom. Umweltthemen wie diese sind auch wichtige umweltthemen für referate in Schulen und Universitäten.

Weiterlesen >>  LNG-Terminal vor Rügen: Eine Bedrohung für die einzigartige Natur der Ostsee

Eine Seenlandschaft mit Gänsen im Englischen Garten in MünchenEine Seenlandschaft mit Gänsen im Englischen Garten in München

Das Spektrum der Biotope umfasst damit auf engstem Raum sehr trockene Stellen wie auch Gewässer, offenes oder ziemlich bewaldetes Gelände, frei Zugängliches oder Verschlossenes. Überall können besondere Arten leben. Die Gesamtheit der Strukturvielfalt zu messen, fällt schwer bzw. ist schlicht unmöglich, wenn auch kleine Tiere wie Insekten und entsprechend kleine Pflanzen darauf bezogen werden sollen. Zwei Aspekte sind in diesem Zusammenhang zu betonen: Erstens ergab und ergibt sich diese Strukturvielfalt von selbst, und zweitens verbinden wir mit ihr auch etwas sehr auf uns selbst Bezogenes, nämlich die Lebensqualität des Wohn- oder Arbeitsorts.

Nährstoffe und der Einfluss auf die Artenzusammensetzung

Ein berechtigter Einwand führt zum dritten, am wenigsten beachteten Hauptfaktor, der Biodiversität in Städten ermöglicht oder fördert. Es gibt Winkel, in denen Brennnesseln oder Brombeergestrüpp wuchern, weil „nichts getan wird“. Das ist richtig und führt auf die Spur zu diesem Hauptfaktor. Dort ist nämlich der Boden, aus welchen Gründen auch immer, sehr reich an Pflanzennährstoffen, insbesondere an Stickstoffverbindungen, die das Wachstum einiger weniger Pflanzenarten begünstigen. Als „nitrophil“ (Stickstoff-liebend; besser Stickstoff-bedürftig) werden sie charakterisiert. Tatsächlich bringt für die Biodiversität eine hohe Strukturiertheit wenig, wenn Überdüngung eine Art oder einige wenige Arten wuchern lässt. Sie verdrängen die vielen anderen, die gedeihen könnten, wäre der Boden magerer. Sich selbst überlassene, nährstoffreiche Gebiete, die als „Biotope“ ausgewiesen und sogar durch hohe Zäune vor Störungen und Beeinträchtigungen seitens der Menschen geschützt werden, wachsen nicht selten in wenigen Jahren völlig zu und verlieren dabei an Biodiversität, anstatt diese erhalten oder gefördert zu bekommen. Fachkenntnisse wie von neugebauer umwelt sind hier entscheidend, um die richtigen Maßnahmen zu ergreifen.

Störungen als Motor der Vielfalt

Im Klartext heißt dies, dass das hohe Ausmaß von Störungen in städtischen Biotopen bei einer Vielzahl kleiner Tier- und Pflanzenarten zur Erhaltung der Biodiversität beiträgt. Bei größeren, störungsempfindlichen Arten ist das selbstverständlich anders. Oder, allgemeiner, was für die einen gut ist, kann für andere ungünstig sein. Ein mäßiges Ausmaß an Störungen begünstigt jedoch im Allgemeinen die Biodiversität. Das erklärt die an sich zunächst paradoxe Situation, dass sich ausgerechnet in den größten Zusammenballungen von Menschen sehr viel Artenvielfalt entwickeln kann. Die Problematik der Störungen oder ganz direkt der Verfolgung trifft vor allem die größeren Vögel und manche Säugetiere. Wo die Menschen angehalten sind, auf festen Wegen oder Straßen zu bleiben, können sich die lernfähigen Arten rasch darauf einstellen, ihre Fluchtdistanz stark vermindern und somit Orte in der Stadt bewohnen, die ihnen draußen in der freien Natur keine Chancen zum Leben bieten würden – weil sie dort nicht bloß zu oft gestört, sondern auch direkt verfolgt und getötet würden.

Weiterlesen >>  Umweltfreundliche Produkte: Ein Leitfaden für nachhaltiges Leben in Deutschland

Ein Fuchs trinkt aus einer Pfütze, im Hintergrund sieht man den Berliner HauptbahnhofEin Fuchs trinkt aus einer Pfütze, im Hintergrund sieht man den Berliner Hauptbahnhof

Das einzigartige Stadtklima und seine Mikroklimata

Schließlich ist das Stadtklima mit seiner Besonderheit als Rahmenbedingung anzuführen. Es begünstigt viele Arten, weil es in den (großen) Städten wärmer und trockener, weniger windig und frostig ist. Wiederum kommen Details dazu, die vom Material des Untergrunds, der Bauwerke wie des Bodens, beeinflusst werden. So können Fledermäuse in den Städten, von den Vollglasgebäuden abgesehen, ziemlich leicht Tagesrastplätze oder Wochenstuben finden, die genau das passende Mikroklima dafür bieten, weil es alle möglichen Differenzierungen von sonnigen, halbschattigen oder schattigen, trockeneren oder feuchteren Stellen gibt. In den Wäldern, besonders in Wirtschaftsforsten aus einförmigen Altersklassenbeständen von Bäumen, gibt es nicht annähernd diese Vielfalt.

Nicht allein das eigentliche Stadtklima, wie es meteorologisch gemessen wird, drückt also aus, wie geeignet welcher Ort für das Leben von Pflanzen und Tieren ist, sondern auch das Mikroklima. Nirgendwo ist dieses so vielfältig wie in den Städten. Alle wesentlichen Teilfaktoren, die über Vorkommen und Häufigkeit von Arten bestimmen, gibt es in der Stadt in höchst unterschiedlichen Kombinationen.

Fazit: Die Stadt als dynamischer Lebensraum für Biodiversität

Das Ergebnis ist eine Biodiversität in Städten, die beträchtlich über der „Normalen“ für die betreffende Region liegt, sofern Flächen gleicher Größe miteinander verglichen werden. Die Stadt ist als Lebensraum damit etwas Neues, aber nichts grundsätzlich anderes und schon gar nicht „unnatürlich“, wie vielfach angenommen oder gegen die Stadt und ihre Entwicklung polemisiert wird. Sie ist menschengemacht, aber das ist die Kulturlandschaft auch; jede Kulturlandschaft, nicht nur die der „guten alten Zeit“, der wir Naturschützer nachtrauern. Indem wir diese facettenreiche Natur in unseren Städten erkennen und wertschätzen, können wir aktiv dazu beitragen, sie zu schützen und zu fördern.

Eine Kleingartenanlage auf dem Tempelhofer Feld in BerlinEine Kleingartenanlage auf dem Tempelhofer Feld in Berlin

Erkunden Sie selbst die grüne Seite Ihrer Stadt und entdecken Sie die überraschende Vielfalt direkt vor Ihrer Haustür. Jeder Garten, jede Parkanlage und sogar kleine Brachflächen können wertvolle Beiträge zur urbanen Artenvielfalt leisten.