Der renommierte Soziologe und Gesellschaftstheoretiker Ulrich Beck ist verstorben. Professor Beck zählte in den letzten Jahrzehnten zu den einflussreichsten Intellektuellen weltweit und war einer der am häufigsten zitierten Sozialwissenschaftler. Er lehrte an der Ludwig-Maximilians-Universität München, der Fondation Maison des Sciences de l’Homme in Paris sowie der London School of Economics and Political Science.
Porträt von Ulrich Beck
Becks bahnbrechendes Werk Risikogesellschaft: Auf dem Weg in eine andere Moderne (1986/1992) wurde zu einem wissenschaftlichen und politischen Bestseller, übersetzt in 35 Sprachen und mit rund 50.000 Zitierungen in der Fachliteratur. Beck kritisierte scharf jene, die westliche Gesellschaften als „postmodern“ bezeichneten, und bot stattdessen eine immanente Kritik an den versäumten Versprechen der Moderne. Durch ihren eigenen Erfolg gerät die moderne Gesellschaft nun in die Krise: Früher fanden Experimente im Labor statt, heute ist die gesamte Welt ein Testfeld. Ob Kernkraftwerke, gentechnisch veränderte Organismen oder Nanotechnologie – Fehlschläge hätten globale, irreversible Folgen. In seinen eigenen Worten: „In der Moderne ist ein Schicksal der Bedrohung entstanden, eine Art Gegenmoderne, die alle unsere Raum-, Zeit- und Sozialdifferenzierungsbegriffe überschreitet. Was gestern noch fern war, findet sich heute und in Zukunft ‚vor der Haustür‘.“ (Beck 1995: 65).
Die Risikogesellschaft als zentrale Theorie
Ulrich Beck beschrieb die zeitgenössische Gesellschaft als Übergang von der „Industriegesellschaft“ zur „Risikogesellschaft“. Diese sei „eine unausweichliche strukturelle Bedingung der fortgeschrittenen Industrialisierung“ und „die moderne Gesellschaft ist zur Risikogesellschaft geworden, in dem Maße, wie sie zunehmend mit der Debatte, Verhinderung und Bewältigung von von ihr selbst produzierten Risiken befasst ist.“ Beck betonte, dass sich die Beziehung der Gesellschaft zu Produktion und Distribution wandelt, eng verknüpft mit ökologischen Auswirkungen einer totalisierenden, globalisierenden Ökonomie, die auf wissenschaftlichem und technischem Wissen basiert. Im Gegensatz zu früheren klassenbasierten Gesellschaften, in denen nur das Proletariat betroffen war, bedrohen Risiken in der weltweiten Risikogesellschaft alle Gruppen – selbst die Reichen. Beck unterstrich, dass Risiken und Klassenpositionen auf nationaler und internationaler Ebene überschneiden.
In seinem einflussreichen Buch lieferte Beck zudem einen Rahmen, um Umweltpolitik zu verstehen, zu erklären und weiterzuentwickeln. Er riet davon ab, sich auf die mathematische Moralität von Experten zu verlassen, die Risiken durch Wahrscheinlichkeitsberechnungen quantifizieren. In der Risikogesellschaft sei Wissen nicht klar als Wahrheit erkennbar, sondern in „Mischungen“ und „Amalgamen“ vermittelt – durch „Wissensagenten in ihrer Kombination und Opposition, ihren Grundlagen, Ansprüchen, Fehlern und Irrationalitäten“ (Beck 1992: 55). Menschen müssten zu „kleinen, privaten Alternativ-Experten für Risiken der Modernisierung“ werden (S. 61).
Während in der alten Industriegesellschaft Überleben durch Klassenolidarität, Bildung und Karriereplanung gesichert wurde, fordert die Risikogesellschaft neue Fähigkeiten: „Die Fähigkeit, Gefahren zu antizipieren und zu ertragen, sie biografisch und politisch zu bewältigen, gewinnt an Bedeutung. An die Stelle von Statusverlustängsten, Klassenbewusstsein und Aufstiegsorientierung, die wir mehr oder weniger zu handhaben gelernt haben, treten andere zentrale Fragen. Wie gehen wir mit den uns zugeteilten Gefahrenfolgen und den in ihnen residierenden Ängsten und Unsicherheiten um? Wie bewältigen wir die Angst, wenn wir die Ursachen der Angst nicht überwinden können? Wie können wir auf dem Vulkan der Zivilisation leben, ohne ihn bewusst zu vergessen, aber auch ohne an den Ängsten – und nicht nur an den Dämpfen, die der Vulkan ausstößt – zu ersticken?“ (S. 76).
Beck sah in der Angst vor dem Kollaps eine Chance für internationale Kooperation und einen kosmopolitischen Wandel in den Sozialwissenschaften. Risikogesellschaft war nicht nur eine faszinierende soziologische Analyse amorpher Bedrohungen auf persönlicher, öffentlicher und historischer Ebene, sondern auch ein Manifest für eine neue Haltung und Politik in der komplexen Gegenwart.
Weitere Werke und Vermächtnis
Aufbauend auf Risikogesellschaft legte Beck in Ökologische Politik im Zeichen des Globalisierungsrisikos (1995) die Grundlagen für eine originelle Analyse moderner Politik. Statt „gute“ soziale Bewegungen gegen „schlechte“ Institutionen zu stellen, plädierte er für deren Transformation – von Wissenschaft und Wirtschaft –, um organisierte Verantwortungslosigkeit in demokratische Rechenschaftspflicht umzuwandeln.
Becks weitere einflussreiche Werke thematisierten Globalisierung, Kosmopolitismus, Arbeit und soziale Ungleichheiten. Er zitierte: „Das ökologische Problem, politisch und soziologisch betrachtet, kreist im Kern um einen systematischen, legalisierten Verstoß gegen fundamentale Bürgerrechte – das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. […] In der ökologischen Krise geht es um einen Bruch grundlegender Rechte, der im Wohlstand gedämpft und verschleiert wird, dessen sozial destabilisierende Langzeitwirkungen aber kaum überschätzt werden können.“ (Aus: Beck, Ulrich. 1995. Ökologische Aufklärung: Aufsätze zur Politik der Risikogesellschaft. Humanities Press. S. 8).
Ulrich Becks Ideen prägen bis heute die Debatte um Risiken in einer globalisierten Welt und inspirieren zu einem bewussteren Umgang mit Moderneherausforderungen.
Zusammenfassend war Ulrich Beck ein visionärer Denker, dessen Konzepte der Risikogesellschaft uns helfen, die Gefahren unserer Zeit zu navigieren. Für alle, die sich mit Soziologie und Gesellschaftsentwicklung auseinandersetzen, lohnt eine Lektüre seiner Werke. Entdecken Sie mehr über deutsche Intellektuelle und ihre Beiträge zur Weltkultur – teilen Sie Ihre Gedanken in den Kommentaren!
