Die Debatte um die vierte Corona-Impfung und mögliche weitere Booster ist in Deutschland weiterhin aktuell und wird unter Experten kontrovers diskutiert. Viele Menschen fragen sich, ob eine erneute Auffrischung der Immunität notwendig und sinnvoll ist oder ob zu viele Impfungen negative Auswirkungen haben könnten. Auch die Ständige Impfkommission (Stiko) hat eine klare Haltung dazu, die nicht mit allen Ansichten in der Fachwelt übereinstimmt. Dieser Artikel beleuchtet die verschiedenen Perspektiven und gibt einen Überblick über den aktuellen Kenntnisstand bezüglich der 4. Impfung gegen Corona.
Sind zu viele Corona-Booster schädlich? Eine Expertenkontroverse
Nach Einschätzung der Stiko legen die aktuellen Studienergebnisse nicht nahe, dass sich alle Menschen ein viertes oder gar fünftes Mal impfen lassen sollten. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass mittlerweile spezifische Omikron-Impfstoffe verfügbar sind, die besser an die zirkulierenden Virusvarianten angepasst sind. Trotz dieser Empfehlung ist es jungen und gesunden Personen in Deutschland weiterhin erlaubt, sich ein viertes, fünftes oder sogar sechstes Mal gegen COVID-19 impfen zu lassen. Ob diese Vielzahl an Impfungen sich jedoch negativ auf die individuelle Gesundheit auswirken kann, bleibt ein viel diskutiertes Thema in der Wissenschaft.
Die Argumente der Befürworter: Keine bekannten immunologischen Risiken
Immunologen wie Andreas Thiel von der Berliner Charité betonen, dass es bisher keine Studien gebe, die “negative Effekte auf Immunitäten” durch wiederholte Corona-Booster aufzeigen. Thiel erklärte bereits im Juli, dass in einem Immunsystem, welches noch ausreichend geschützt ist, bei einer erneuten Impfung oft nicht viel passiere. Die bereits vorhandenen Antikörper würden den Impfstoff unter Umständen so effizient abfangen, dass nur eine geringe erneute Aktivierung des immunologischen Gedächtnisses stattfinde. Dies deutet darauf hin, dass bei bereits gut geschützten Personen die Wirkung eines zusätzlichen Boosters begrenzt sein könnte, ohne jedoch Schaden anzurichten.
Auch Professor Onur Boyman, Direktor der Klinik für Immunologie am Universitätsspital Zürich, äußerte sich im Juli dahingehend, dass mehrere Auffrischimpfungen seiner Ansicht nach wohl nicht schadeten. Er fügte hinzu: “Eine relevante Zunahme von immunologischen Nebenwirkungen mit jeder Auffrischimpfung ist nicht zu erwarten, was auch durch erste Studien zur vierten Impfung bestätigt werden konnte.” Diese Ansicht stützt die These, dass das Immunsystem die wiederholten Antigen-Reize gut verarbeiten kann und keine Überforderung befürchtet werden muss.
Die Argumente der Kritiker: Vorsicht vor einer Überforderung des Immunsystems
Demgegenüber warnte Marco Cavaleri von der Europäischen Gesundheitsbehörde EMA bereits im Januar 2022 vor einer zu hohen Anzahl an Corona-Boostern. Er mahnte zur Vorsicht und betonte: “Wir sollten vorsichtig sein, das Immunsystem nicht zu überfordern mit immer neuen Impfungen.” Diese Äußerung deutet auf die Sorge hin, dass ein permanenter Stimulus des Immunsystems möglicherweise unerwünschte Langzeitfolgen haben könnte.
Professorin Christine Falk, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, erläuterte diese Bedenken im “Spiegel” genauer. Sie erklärte, dass B- und T-Zellen nach und nach ein immunologisches Gedächtnis aufbauen, um Krankheitserreger langfristig erkennen und unschädlich machen zu können. Wird dieser Prozess jedoch zu oft und zu früh gestört, kann dies negative Auswirkungen haben. Falk wies darauf hin, dass bei den T-Zellen eine Art “Erschöpfung” eintreten könnte, was bedeuten würde, dass ihre Fähigkeit, auf neue Bedrohungen zu reagieren, eingeschränkt sein könnte. Dies ist ein wichtiger Aspekt, der bei der Entscheidung für oder gegen weitere Booster berücksichtigt werden sollte.
Prof. Christine Falk im Porträt, eine prominente Immunologin, die sich zur Wirkung von Corona-Impfungen äußert
Professor Andreas Radbruch vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin sieht ebenfalls Risiken in wiederholten “nutzlosen ‘blinden’ Boostern”, selbst wenn das Antikörper-produzierende adaptive Immunsystem nicht mehr stark anspringt. Er nannte im Juli mehrere Punkte. Zum einen kämen auch bei der vierten Impfung oft Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen vor, was “zumindest unangenehm” sei. Dies sind zwar meist kurzfristige Reaktionen, können aber die Lebensqualität beeinträchtigen.
Zum anderen sei nicht auszuschließen, dass bei einzelnen Geimpften der Körper auch auf andere Inhaltsstoffe des Impfstoffs reagiere als die gewünschten Antigene. Dies könnte laut Radbruch zu “Unverträglichkeiten für zukünftige Impfungen mit ähnlich aufgebauten Impfstoffen” führen. Ein weiterer kritischer Punkt, den Radbruch aufwarf, ist die Frage, ob durch zu viele Booster möglicherweise Autoimmunerkrankungen entstehen könnten. Diese hypothetischen Risiken erfordern weitere Forschung und eine sorgfältige Abwägung.
4te Impfung Corona und Grippe-Impfung: Gleichzeitige Verabreichung möglich
Eine praktische Frage, die sich viele Menschen stellen, betrifft die Möglichkeit, die vierte Corona-Impfung mit der jährlichen Grippe-Impfung zu kombinieren. Hier gibt die Stiko eine klare Antwort: Ja, die vierte Corona-Impfung und die Grippe-Impfung können problemlos miteinander verbunden werden und quasi gleichzeitig erfolgen. Diese Empfehlung erleichtert die Logistik für Impfwillige und kann dazu beitragen, die Impfquoten für beide wichtigen Schutzmaßnahmen zu erhöhen, insbesondere für Risikogruppen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Entscheidung für oder gegen eine 4te Impfung Corona oder weitere Booster eine individuelle ist, die auf Basis der persönlichen Gesundheit, des Risikoprofils und der aktuellen Empfehlungen getroffen werden sollte. Während einige Experten keine bekannten immunologischen Risiken sehen und die Verträglichkeit betonen, mahnen andere zur Vorsicht, um eine potenzielle Überforderung des Immunsystems zu vermeiden. Für spezifische Ratschläge ist es stets ratsam, Rücksprache mit dem Hausarzt zu halten und die aktuellen Empfehlungen der Stiko zu beachten.
